Rette mich vor dir
verletzen.
Doch dann schaue ich auf meine 2 Hände und weiß wieder genau, wozu ich imstande bin. Weiß, was ich getan habe und möglicherweise in Zukunft tun werde. Denn es ist so schwer, gegen etwas anzukämpfen, das man nicht im Griff hat. Und im Moment habe ich nicht mal meine eigene Fantasie im Griff. Sie packt mich an den Haaren und schleift mich in die Dunkelheit.
16
Die Einsamkeit ist ein sonderbares Wesen.
Lautlos kommt sie im Dunkeln angeschlichen, setzt sich ans Bett, streicht dir im Schlaf übers Haar. Umschlingt dich so fest, dass der Atem ins Stocken gerät, das Blut sich erhitzt und der Herzschlag zu rasen beginnt, während ihre Lippen die Härchen in deinem Nacken streifen. Sie hinterlässt Lügen in deinem Herzen, legt sich neben dich in der Nacht und verschlingt das Licht aus allen Ecken und Winkeln. Sie weicht nicht mehr von deiner Seite, und sie reicht dir nur die Hand, um dich wieder nach unten zu zerren, wenn du dich gerade mühsam aufrappeln willst.
Morgens wachst du auf und weißt nicht mehr, wer du bist. Abends kannst du nicht einschlafen und zitterst in deiner Haut. Du grübelst grübelst grübelst
bin ich so
bin ich nicht so
sollte ich
sollte ich nicht
Und selbst wenn du dich beruhigst. Wenn du bereit bist zum Aufbruch. Wenn du bereit bist zum Neubeginn. Selbst dann steht die Einsamkeit wie ein alter Freund neben dir im Spiegel, starrt dich an, bezweifelt, dass du ohne sie leben kannst. Und du findest keine Worte, um dich zu wehren, um dich zu wehren gegen diese Worte – du bist nie gut genug nie gut genug nie gut genug.
Die Einsamkeit ist eine schreckliche, bittere Begleiterin.
Und manchmal lässt sie dich einfach nicht mehr los.
»Haaalloooo?«
Ich blinzle und keuche erschrocken auf und weiche zurück vor den Fingern, die vor meinem Gesicht schnipsen. Die vertrauten Steinwände von Omega Point tauchen vor meinen Augen auf, reißen mich aus meinen Tagträumen. Ich drehe mich ruckartig um.
Kenji starrt mich an.
»Was?« Ich werfe ihm einen nervösen Blick zu, ringe die Hände, die eiskalt sind ohne meine Handschuhe. Mein Anzug hat keine Taschen, und bislang habe ich keinen Ersatz bekommen für die Handschuhe, die ich im Labor ruiniert habe.
»Du bist früh dran«, sagt Kenji. Er legt den Kopf schief, sein Blick ist erstaunt und forschend zugleich.
Ich zucke die Achseln, schaue zu Boden, will Kenji nicht gestehen, dass ich nachts kaum geschlafen habe. Seit 3 Uhr nachts bin ich wach, seit 4 Uhr startklar. Ich kann es kaum erwarten, mich abzulenken von meinen Gedanken. »Ich bin aufgeregt«, lüge ich. »Was machen wir denn heute?«
Kenji schüttelt leicht den Kopf. Schaut über meine Schulter, blinzelt. »So weit, äm –« er räuspert sich, »alles in Ordnung mit dir?«
»Ja, na klar.«
»Aha.«
»Was?«
»Nichts«, sagt er rasch. »Nur so, weißt du.« Er wedelt mit der Hand. »Du siehst nicht grade super aus, Prinzessin. Eher so ähnlich wie an dem Tag, als du mit Warner im Stützpunkt aufgetaucht bist. Starr vor Angst und mit leblosem Blick, und nimm’s mir nicht übel, aber es hat auch den Anschein, als könnte dir eine Dusche nicht schaden.«
Ich lächle, obwohl das so anstrengend ist, dass mir das Gesicht schmerzt. Versuche, meine Schultern zu entspannen, normal, ruhig und konzentriert zu wirken. »Es geht mir gut, wirklich«, sage ich. Senke wieder den Blick. »Es ist nur – ziemlich kalt hier unten. Meine Handschuhe fehlen mir.«
Kenji nickt, schaut noch immer über meine Schulter. »Ja. Verstehe. Er wird sich übrigens erholen.«
»Was?« Atmen. Atmen fällt mir wirklich schwer.
»Kent.« Er schaut mich jetzt an. »Dein Freund. Adam . Er wird wieder gesund werden.«
1 Wort, 1 schlichte dämliche Erinnerung an ihn bringt die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Flattern. Doch dann fällt mir auf, dass Adam nicht mehr mein Freund ist. Dass er es nicht mehr sein kann. Dass er gar nichts mehr für mich sein kann.
Und die Schmetterlinge stürzen ab.
Das.
Ich kann das nicht tun.
»Also«, sage ich, zu laut und zu munter. »Sollten wir nicht los? Wir haben doch einiges vor, oder?«
Kenji wirft mir einen seltsamen Blick zu. »Ja«, sagt er. »Klar. Komm mit.«
17
Kenji führt mich zu einer Tür, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Die zu einem Raum gehört, in dem ich noch nie zuvor gewesen bin.
Von drinnen höre ich Stimmen.
Kenji klopft zweimal, bevor er die Tür öffnet. Lautes Stimmengewirr schlägt uns entgegen. In dem Raum, den wir betreten,
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