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Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
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Verbrechen beging, wählten die Bürger das Reestablishment, damit es uns in eine bessere Zukunft führte.
    Hoffnung. Sie hatten so viel Hoffnung. Meine Eltern, unsere Nachbarn, meine Lehrer und Klassenkameraden. Alle glaubten an eine bessere Welt, als sie das Reestablishment bejubelten und ihm Unterstützung zusicherten.
    Hoffnung kann Menschen zu schrecklichen Taten veranlassen.
    Ich sah die Demonstrationen noch, bevor sie mich einsperrten. Die wütenden Menschenmassen, die Entschädigung verlangten. Und das Reestablishment verhöhnte sie und sagte, sie hätten vorher das Kleingedruckte lesen sollen.
    Unwiderrufliche Verträge.
    Castle und Kenji nehmen mich auf diese Expedition mit, weil sie mich in den inneren Kreis von Omega Point einführen wollen. Sie wollen mich in ihren Reihen, wollen, dass ich ihre Mission verstehe und zu meiner mache. Castle möchte, dass ich mit ihnen gegen das Reestablishment und dessen Pläne für die Welt kämpfe. Gegen die geplante Vernichtung von Büchern und Kunst, von Sprache und Geschichte. Gegen das leere, öde, monotone Leben, das die Machthaber den künftigen Generationen aufzwingen wollen. Er will mir vermitteln, dass unser Planet noch nicht irreparabel zerstört ist, dass unsere Zukunft noch besser gestaltet werden kann, sofern die Macht in den richtigen Händen liegt.
    Er will mir beibringen, Vertrauen zu haben.
    Und ich will Vertrauen haben.
    Aber manchmal bekomme ich Angst. In meinen wenigen Lebensjahren habe ich bereits erfahren, dass Menschen, die Macht haben wollen, niemals vertrauenswürdig sind. Menschen mit hehren Zielen und eloquenten Reden und aalglattem Lächeln beunruhigen mich. Männer mit Waffen vermitteln mir keine Geborgenheit, sooft sie auch behaupten mögen, dass sie für die richtige Sache töten.
    Und mir ist nicht entgangen, dass die Einwohner von Omega Point bis an die Zähne bewaffnet sind.
    Aber ich bin neugierig. Rasend neugierig.
    Deshalb fühlt es sich richtig an, dass ich nun zerlumpte Kleidung und eine dicke Wollmütze trage, die mir fast bis über die Augen geht. Meine schwere Jacke hat wohl früher einem Mann gehört, und meine Lederstiefel sind fast verdeckt von viel zu langen Hosenbeinen. Ich sehe aus wie eine bettelarme Frau auf der Suche nach etwas Essbarem für ihre Familie.
    Eine Tür fällt ins Schloss, und wir drehen uns alle gleichzeitig um. Castle strahlt und schaut jeden von uns an.
    Mich. Winston. Kenji. Brendan. Das Mädchen namens Lily. 10 weitere Personen, die ich nicht näher kenne. Mit Castle sind wir 16. Eine ausgewogene Zahl.
    »Na, dann ans Werk«, sagt Castle und klatscht in die Hände. Mir fällt auf, dass er Handschuhe trägt wie alle anderen auch. Heute bin ich nur ein ganz gewöhnliches Mädchen mit normaler Kleidung und normalen Handschuhen. Heute bin ich wie alle anderen. Nur für diesen einen Tag.
    Der Gedanke ist so ungewohnt, dass ich unwillkürlich lächle.
    Dann erinnere ich mich, dass ich Adam gestern beinahe umgebracht habe, und meine Lippen erstarren wieder.
    »Bereit?« Castle schaut in die Runde. »Denken Sie bitte an alles, was wir besprochen haben.« Er hält inne. Sieht jeden eindringlich an. Auf mir ruht sein Blick etwas zu lange. »Gut. Los geht’s.«
    Wir folgen Castle schweigend durch die Gänge, und einen Moment lang denke ich, dass ich in diesem unauffälligen Aufzug auch einfach verschwinden könnte. Ich könnte davonlaufen und würde nie mehr gefunden werden.
    Feige.
    Ich überlege, wie ich das Schweigen brechen könnte. »Und wie kommen wir dorthin?«, frage ich die anderen.
    »Zu Fuß«, antwortet Winston.
    »Zivilisten besitzen nur selten Autos«, erklärt Kenji. »Und mit einem Panzer dürfen wir uns nicht erwischen lassen. Wenn wir unauffällig bleiben wollen, müssen wir uns so verhalten wie das Volk. Und das geht zu Fuß.«
    Ich verliere die Orientierung, während Castle uns Richtung Ausgang führt, und mir wird bewusst, wie wenig ich bislang von Omega Point gesehen habe und wie schlecht ich mich hier auskenne. Was, wenn ich aufrichtig bin, daran liegt, dass ich mich nicht darum bemüht habe, diese unterirdische Stadt besser kennenzulernen.
    Das muss ich ändern.
    Dass wir kurz vor dem Ausgang sein müssen, merke ich, als wir eine Steintreppe hinaufsteigen. Oben befindet sich eine Stahltür mit einem Riegel.
    Ich merke, dass ich ziemlich aufgeregt bin.
    Angespannt.
    Erwartungsvoll und ängstlich zugleich.
    Heute werde ich die Welt aus der Sicht einer Bürgerin erleben, aus nächster Nähe.

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