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Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
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sehen kann, falls er in meine Richtung schauen sollte. Ziehe mir die Mütze tiefer in die Stirn und wühle in den Müllbergen.
    Viele Menschen können nur noch auf diese elende Art überleben.
    Warner streicht sich mit der gesunden Hand übers Gesicht, legt sie einen Moment lang auf die Augen, presst sie dann auf den Mund, als wolle er etwas nicht aussprechen.
    Seine Miene wirkt beinahe … besorgt. Aber das bilde ich mir wohl nur ein.
    Er beobachtet die Leute auf dem Gelände. Vor allem die kleinen Kinder, die unbekümmert herumrennen; sie scheinen noch nicht zu merken, in was für einer tristen, düsteren Welt sie leben. Sie kennen nichts anderes.
    Warners Gesicht ist jetzt ausdruckslos. Er blinzelt nicht einmal. Steht reglos da wie eine Statue.
    Ein streunender Hund bewegt sich auf ihn zu.
    Ich erstarre. Habe plötzlich Angst um dieses räudige Tier, diese halb erfrorene, ausgehungerte Kreatur, die bestimmt auf der Suche nach etwas Essbarem ist. Mein Herz pocht wie verrückt, zu schnell, zu heftig und
    Ich habe keine Ahnung, weshalb ich glaube, dass gleich etwas Schreckliches geschehen wird.
    Der Hund scheint auch fast blind zu sein, er läuft gegen Warners Beine, hechelnd. Winselt ein bisschen und besabbert Warners edle Hose. Ich halte die Luft an, als der Goldmann sich umdreht. Rechne fast damit, dass er seine Pistole zieht und den Hund erschießt.
    Ich habe schon erlebt, wie er das mit einem Menschen getan hat.
    Doch während ich Warner verstohlen beobachte, wird sein Gesicht weich, die Augen weiten sich, die Brauen schießen erstaunt in die Höhe.
    Er schaut sich rasch um. Dann nimmt er den Hund auf die Arme und verschwindet hinter einem der Zäune, die in den Siedlungen zur Abgrenzung einzelner Geländeteile benutzt werden. Ich will unbedingt wissen, was jetzt passiert, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlägt und ich kaum mehr Luft bekomme.
    Ich habe mit eigenen Augen gesehen, was Warner einem Menschen antun kann. Ich habe seine Erbarmungslosigkeit, seine Kälte, seine Gleichgültigkeit erlebt; seine Ungerührtheit, nachdem er einen Mann kaltblütig umgebracht hatte. Was er nun mit einem unschuldigen Hund tun wird, ist kaum vorstellbar.
    Ich muss es wissen.
    Ich muss sein Gesicht aus meinem Kopf vertreiben. Und dazu muss ich ihn so gnadenlos erleben, wie er ist. Als kranken Psychokrüppel.
    Wenn ich mich ungehindert aufrichten könnte, würde ich vielleicht sehen, was er mit dem armen Tier anstellt, und könnte noch eingreifen. Aber dann höre ich Castle raunen, dass wir jetzt abrücken können, da Warner verschwunden ist. »Alle bewegen sich einzeln, nach Plan«, befiehlt Castle im Flüsterton. »Keiner folgt anderen. Wir treffen uns am Aufbruchspunkt. Wer es nicht schafft, wird zurückgelassen. Ihr habt eine halbe Stunde Zeit.«
    Kenji zupft mich am Arm, raunt, ich solle mich konzentrieren und losmarschieren. Ich schaue auf und sehe, dass die anderen sich schon zerstreut haben. Nur Kenji ist bei mir geblieben. Er flucht leise, bis ich mich schließlich aufrichte. Nicke. Ihm sage, dass ich den Plan verstanden habe und dass er losgehen soll, weil man uns nicht zusammen sehen darf. Dass es zu gefährlich ist.
    Schließlich, endlich, wendet er sich ab.
    Ich schaue ihm nach. Gehe ein paar Schritte in seine Richtung. Dann flitze ich zum Gebäude, drücke mich an die Wand, unsichtbar.
    Sondiere mit dem Blick das Gelände. Schleiche wieder zu dem Zaun, hinter dem Warner verschwunden ist, und spähe vorsichtig darüber.
    Ich muss mir die Hand vor den Mund schlagen, um nicht laut zu keuchen.
    Warner kauert am Boden, hält dem Hund mit der unverletzten Hand etwas zu fressen hin. Das dürre Tier duckt sich in Warners offene Jacke, sucht zitternd Zuflucht vor der Kälte. Es wedelt wie wild mit dem Schwanz, schaut Warner dann kurz an und kriecht wieder in die Jacke. Ich höre Warner lachen.
    Sehe ihn lächeln.
    Ein Lächeln, das ihn in einen anderen Menschen verwandelt. Seine Augen funkeln, sein Gesicht wirkt entspannt, und ich merke, dass ich ihn noch nie zuvor so erlebt habe. Ich hatte bislang noch nicht einmal seine Zähne gesehen – sie sind ebenmäßig und blendend weiß, makellos. Das strahlende Äußere eines Jungen mit einem bösen schwarzen Herzen. Man kann sich kaum vorstellen, dass diese Person Blut vergießt. Er sieht so weich und verletzlich aus – so menschlich. Seine Augen glänzen freudig, und seine Wangen sind rosa von der Kälte.
    Er hat Grübchen .
    Er ist das Schönste, was ich jemals erblickt

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