Rettungskreuzer Ikarus Band 010 - Aufstand der Toten
ausdrücklich kurz nach seiner Ankunft
Sally zu sprechen gewünscht hatte, bewirkte, dass sich manche der Vermutungen
und Befürchtungen der Direktorin zu einer Gewissheit verdichteten. Doch
Sally war klug genug, vorerst nicht mehr als verhaltene Neugier und ausgesuchte
Höflichkeit zu zeigen, und zumindest das Angebot des Serviceroboters, der
wieselflink in das Büro geglitten war, um Erfrischungen anzubieten, ließ
nichts zu wünschen übrig. Der Eridianer hatte sich zurückhaltend
aber dankend bedient, und seine faszinierenden Augen hatten den Raum, noch viel
mehr aber seine Gesprächspartnerin gemustert.
Sally kam nicht auf den Gedanken, den höflichen Mann zu unterschätzen,
denn niemals sollte irgendjemand einen Nuntius der Galaktischen Kirche für
weniger halten, als das, was er war: Ein direkter Gesandter des Erzpriors und
Eingeweihter in die Komplexität der Politik einer ausgesprochen mächtigen
und einflussreichen Organisation.
Seit ihrem Amtsantritt als Corpsdirektorin hatte die Kirche Kontakt zu Sally
gesucht. Einige niederrangige Vertreter hatten sie getroffen, und nicht zuletzt
aufgrund der Andeutungen und Informationen der Kirchengesandten hatte sie die Ikarus nach Seer'Tak City geschickt. Das Verschwinden der dort stationierten
Corpsangehörigen war sozusagen der letzte Tropfen gewesen, der das Fass
zum Überlaufen gebracht hatte.
Der Eindruck, dass man sie testen würde, hatte sich im Verlaufe dieser
Kontakte immer mehr verfestigt. Die Tatsache, dass jemand wie der Nuntius nun
persönlich ins Corps-HQ kam – was sicherlich intern ihre Position
wesentlich stärken würde, denn es handelte sich um ein bisher einmaliges
Ereignis für das Raumcorps –, war Hinweis darauf, dass die Ereignisse
einem Höhepunkt entgegenstrebten. Oder, anders gesagt: Sie hatte die Prüfungsphase
offenbar generell abgeschlossen und das Abschlussexamen stand bevor. Sally war
vor Examen nie nervös gewesen, und auch jetzt bewahrte sie Ruhe.
»Nuntius, Euer Besuch ehrt mich«, erklärte sie nun, um die Höflichkeitsfloskeln
zu beenden und zur Sache zu kommen. »Sicher führt Euch eine wichtige
Mission nach Regulus, und ich bin bereit, im Rahmen meiner Möglichkeiten
diese Mission zu unterstützen.«
Der Eridianer, der sich als Nuntius Donghaar vorgestellt hatte, neigte den balkenförmigen
Kopf. Sein dünner, lippen- und zahnloser Mund öffnete sich zu einer
Antwort.
»Direktorin, es freut mich, so kurzfristig empfangen worden zu sein. In
der Tat führt mich ein wichtiger Auftrag Seiner Eminenz des Erzpriors zu
Euch.«
»Was kann ich für Seine Eminenz tun?«, fragte Sally.
»Lasst mich zuerst erfahren, Direktorin, ob Ihr eine gläubige Tochter
der Kirche seid.«
Diese simple Frage verursachte bei Sally, die sonst so viel auf ihre mustergültige
Selbstbeherrschung gab, ein Stirnrunzeln. Sie hatte eigentlich nicht damit gerechnet,
religiöse Grundüberzeugungen diskutieren zu müssen. Doch fühlte
sie, dass der Nuntius sich nicht ohne Grund danach erkundigte, also bemühte
sie sich um eine zugleich diplomatische wie wahrheitsgetreue Antwort.
»Nuntius Donghaar, das ist eine schwierige Frage. Mein bisheriges Leben
war durch zahlreiche Konflikte und schwere Herausforderungen gekennzeichnet.
Ich habe weder in meiner Erziehung noch eigenständig eine, wie auch immer
geartete, spirituelle Unterweisung erhalten. Ich erkenne Einfluss und Macht
der Kirche an, und ich habe vor ihren Institutionen Respekt. Das Raumcorps,
das ich repräsentiere, hat sich zudem immer um ein freundschaftliches und
kooperatives Verhältnis mit der Kirche bemüht. Die von mir eingerichtete
Rettungsabteilung hat, wenn ich recht informiert bin, das Wohlwollen des Sektorpriors
genossen und es sind, nach meiner Kenntnis, entsprechend positive Berichte auch
bis nach St. Salusa vorgedrungen. Ich sehe mich als Teil dieses Prozesses, ohne
damit viel über meine persönliche Religiosität sagen zu können,
über die ich mir, ehrlich gesagt, nicht im Klaren bin.«
Donghaar hatte den Ausführungen Sallys schweigend und regungslos zugehört.
Obgleich Sally sich mit der Mimik der Eridianer nicht sonderlich gut auskannte,
hatte sie doch den Eindruck, als wäre der Nuntius mit ihrer Antwort einverstanden.
»Direktorin, ich danke Euch für Eure Offenheit. Ich will nun ebenso
offen sein. Die Galaktische Kirche ist in Sorge. Der Erzprior hat vor geraumer
Zeit eine
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