Rettungskreuzer Ikarus Band 020 - Sankt Salusa
vorbereitet.
»Tholik!«
Aus dem Halbdunkel des Büros löste sich die schmale Gestalt seines
Adlatus. Der Wingire war von Natur aus hager, Tholik erschien dürr, jedoch
kraftvoll. Das weite, wallende Gewand des Priesters verbarg seine knochige,
humanoide Gestalt vollständig. Lediglich der totenkopfgleiche Schädel
lugte aus der weiten Kutte hervor, schwenkte auf seinem langen, mit einem Zwischengelenk
versehenen Hals hin und her wie der eines Geiers. Tholik war Decorians Vertrauter
seit über zehn Jahren, ein ihm persönlich ergebener Angehöriger
des Klerus, den der Prior immer dann einsetzte, wenn er etwas »geregelt«
haben wollte. Dies war so ein Zeitpunkt, und auf die absolute Verschwiegenheit
und Vertrauenswürdigkeit des Mannes konnte er sich jederzeit verlassen.
»Tholik, wir haben ein Problem.« Es gehörte zu Decorians Führungsstil,
das Gefühl von Gleichheit und Betroffenheit bei seinen Untergebenen zu
erzeugen. Ungeachtet ihrer Position in der Hierarchie waren alle Priester der
Kirche Brüder. Decorian achtete darauf, dass Tholik stets den Eindruck
hatte, mit dem, was er für den Prior tat, auch seinem eigenen Wohl –
und natürlich dem der Kirche – zu dienen.
»Exzellenz!«, erwiderte der Wingire erwartungsvoll.
»Es ist notwendig, dass wir einen Besuch aufhalten, der demnächst
hier eintreffen wird. Und wir müssen Plan X vorziehen. Sehr kurzfristig.
Das eine ist mit dem anderen verbunden.«
Die Tatsache, dass Tholik diese Aussage ungerührt zur Kenntnis nahm und
mit seinem Gesichtsausdruck gespannte Aufmerksamkeit zeigte, sprach für
sich. Er hatte für den Prior schon so manchen Dienst verrichtet, der die
Grenzen der Legalität deutlich überschritten hatte. Decorian sorgte
im Anschluss dafür, dass Tholik in der Beichte Absolution erhielt. Es war
praktisch, der Beichtvater und damit letzte moralische Autorität eines
Mannes zu sein, der des Öfteren eher unmoralische Dinge tat.
»Ich stehe zur Verfügung«, meinte der Priester erwartungsgemäß.
»Gut. Ich weiß, dass ich mich darauf verlassen kann. Ich habe bereits
eine Idee, wie wir unter Vortäuschung eines kleinen Betriebsunfalls das
Problem lösen können. Sie ahnen es bereits – es ist der Betriebsunfall, den wir uns ohnehin überlegt hatten.«
Decorian hatte Tholiks volle Aufmerksamkeit.
»Es wird dazu nötig sein, in den Steuerraum des Sanctuariums einzudringen.«
Auf dem Geiergesicht des Wingiren erschien eine steile Falte. »Die Vorbereitungen
...«, begann er.
Decorian hob abwehrend die Hände. Er hatte diesen Einwand vorausgesehen.
»Ich weiß, ich weiß. Aber es ist ja nicht so, dass wir völlig
unvorbereitet wären. Wir haben diesen Augenblick erwartet. Und wir haben
spezielle technologische Vorteile, wie Sie wissen!«
Decorian ergänzte nicht, dass er diese Technologie aus den Händen
von Kronprinz Joran erhalten hatte – und er wusste nicht, dass dieser wiederum
von den Outsidern damit versorgt worden war. Tholik fragte gar nicht erst danach.
»Was soll ich im Steuerzentrum machen, Exzellenz? Wie vorgesehen?«
Decorian unterbreitete ihm seinen Plan.
Uhul beugte sich hinunter und starrte auf die Bodenzeichnung. Ohne Zweifel eine
Sturmfresserspur. Tokal blickte vom Rücken seines Lasttieres herab und
wirkte irritiert.
Uhul fühlte die Irritation seines Novizen und erhob sich wieder. Er machte
eine beruhigende Geste.
»Hab keine Angst, Tokal«, murmelte er halblaut und warf einen forschenden
Blick in die Umgebung. Sie waren seit sieben Stunden unterwegs, und bisher war
die Reise ausgesprochen ereignislos verlaufen. Der Weg der Prozession so nahe
der Stadt war erwartungsgemäß sicher, da hier auch noch mancher Händler
in Richtung der Fernen Lande reiste. Vor zwei Stunden waren sie sogar noch einer
Gruppe von Milizionären begegnet, mit denen man sich kurz ausgetauscht
hatte. Doch nun waren sie in den Bereich der Großen Staubstraße
vorgedrungen, ein gut befestigter Weg, der im Gefolge der Prozession durch den
Tross sowohl beim Hin- wie auch beim Rückweg instand gesetzt wurde. Doch
davon abgesehen benutzte ihn niemand. Dass sich ein Sturmfresser bis hierher
vorwagte, war zwar ungewöhnlich, aber keinesfalls unmöglich. Sturmfresser
waren an sich eher scheue Raubtiere, doch rochen sie einmal Blut – und
das war im Rahmen der Prozession fast unumgänglich –, verwandelten
sie sich in gefährliche Bestien.
»Die Spur
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