Rettungskreuzer Ikarus Band 047 - Sudekas Traum
bevor sich der holografische Panoramabildschirm automatisch abdunkelte.
Sie war nun wohl keine Corpsdirektorin mehr, stellte Provost fest. Genau einunddreißig Jahre hatten vergehen müssen, bis sie wieder in eine ähnliche, nein, katastrophalere Situation wie seinerzeit auf Thissel III geriet, als vom Multimperium gedungene Attentäter auf sie feuerten und sie ihr rechtes Auge verlor. Sie hatte es zunächst nicht ersetzen lassen, doch nach einigen Jahren war sie zu dem Schluss gelangt, dass sie sich lange genug in ihrem Selbstmitleid gesuhlt hatte. Sie ließ sich ein elektronisches Implantat einsetzen, das sich von ihrem ursprünglichen Auge nicht unterschied. Die neurale Verbindung zum Sehnerv war so perfekt, dass Provost das Implantat bald nicht mehr als Fremdkörper wahrnahm.
Sudeka Provost seufzte. Sie konnte nicht umhin, auch den positiven Aspekt der Situation festzustellen – eine Eigenschaft, die maßgeblich zu ihren Erfolgen beigetragen hatte: Das Feld war offen. Von ihren Widersachern war, wenn sie sich nicht völlig verschätzte, nur noch Anatolij Rybakow am Leben. Und wenn sie mit dem, was sie zu finden hoffte, von Fagor IV zurückkehrte, hatte sie alle Trümpfe in der Hand.
Die Solaria erreichte den offenen Weltraum, doch Sudeka Provost würdigte die Pracht des Sternentstehungsgebietes – die grellen, jungen Sonnen, die Stürme kosmischen Staubes und energiereichen Plasmas, die in allen Farben des Spektrums schillerten – keinen Blickes. Sie schloss die Augen. Tränen drangen unter den Lidern hervor.
Das Explorationsraumschiff beschleunigte weiter und sprang in den Hyperraum.
Nach knapp drei Tagen hatte die Solaria den Randbereich der Rho-Dunkelwolke weit hinter sich gelassen.
Sudeka Provost kontrollierte die Anzeigen ihrer Konsole. Die Abweichung von den errechneten Koordinaten war minimal. Trotzdem war sie entschlossen, die nächsten Stunden mit dem Normalantrieb des Raumschiffs weiterzufliegen, um die Ressourcen zu schonen. Bei einem Flug, der mehrere Wochen in Anspruch nehmen würde, konnte sie außerdem eine Kursabweichung, die immer mehr zunehmen würde, nicht riskieren.
Provost hatte sich in der winzigen Nasszelle ihrer kleinen Kabine nur einmal im Spiegel betrachtet und war zusammengezuckt: Fältchen waren zu Falten geworden, ihre Augen gerötet und die Lider geschwollen. Sie schien nicht nur drei Tage gealtert, sondern dreißig Jahre, wie es ihr vorkam. Sie hatte sich gefragt, ob ihr Weg der richtige war. Noch konnte sie in das Freie Raumcorps zurückkehren. Den Posten der Corpsdirektorin würde man ihr jedoch nicht zurückgeben. Ein unbehelligter Ruhestand auf einem abgelegenen, halbwegs angenehmen Planeten, das war alles, was ihr verbliebener Einfluss und ihre wenigen Verbündeten ihr noch ermöglichen mochten.
Doch dann hatte sie an Emanuele Ferrante und Lucius Robinson gedacht und heftig den Kopf geschüttelt.
Auch später hatte sie es vermieden, in den Spiegel zu blicken, wenn sie die Nasszelle benutzte.
Während des dreitägigen Fluges aus der Rho-Dunkelwolke heraus hatte sie sich mit der Solaria vertraut gemacht. Das Raumschiff war für eine zweiköpfige Besatzung konzipiert worden – sicherlich auf das Betreiben ihres toten Lebensgefährten, der damit seine Absicht, sie auf ihren Flügen zu begleiten, wenn sie neben ihrer Arbeit als Corpsdirektorin dafür Zeit gefunden hätte, so deutlich offenbarte, dass es plump wirkte. Vor der Pilotenkanzel lagen die zwei Kabinen; den Einbau einer Doppelkabine hatte die schlanke Bugsektion des Explorationsraumschiffes nicht zugelassen. Davor waren die Kombüse linker und die Computerzentrale, die der Auswertung der Forschungsergebnisse diente, rechter Hand platziert worden.
Alles war neu, sauber, roch antiseptisch und glänzte.
Was für ein Kontrast zu ihrem ersten Raumschiff, der Eminäus! Den Frachter hatte sie vor genau fünfundvierzig Jahren von einem Drupi namens Hagazussa gekauft – zu einem überhöhten Preis, wie sie schnell erkannt hatte. Doch zu diesem Zeitpunkt war Hagazussa bereits untergetaucht. Unangenehme Fragen musste sie sich ein halbes Jahr später von einem Stoßtrupp eines Kreuzers des Multimperiums gefallen lassen, den sie an Bord der Eminäus ließ, um nicht geentert oder sogar abgeschossen zu werden.
Hagazussa hatte sie nicht nur übers Ohr gehauen, sondern ihr auch eine falsche Identität vorgespiegelt. Im Multimperium wurde er wegen einer Reihe von Betrugsdelikten gesucht. Dass die Soldaten des
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