Revenants Trilogie 01 - Von der Nacht verzaubert
unterstützt auch noch andere Gruppen von Revenants, die in den ländlichen Gegenden aktiv sind. Er kann diese ganze Verantwortung nicht tragen und gleichzeitig noch hier und da für jemanden sterben.«
»Also gut«, räumte ich ein. »Ihr habt also einen Zwang, für andere zu sterben. Das erklärt aber nicht, warum ihr — neben all der Sterberei — dann noch so krasse Sachen macht, wie einer Selbstmörderin in die Seine hinterherzuspringen. Es war ja klar, dass du davon nicht sterben würdest.«
»Da hast du recht«, sagte Vincent. »Es kommt nicht oft vor, dass wir für jemanden sterben. Meist nur ein, höchstens zwei Mal pro Jahr. Normalerweise vertreiben wir uns die Zeit damit, schöne Mädchen vor herabfallenden Gebäudeteilen zu retten.«
»Wie vorbildlich«, sagte ich und stupste ihn. »Das ist doch genau das, was ich meine. Was habt ihr davon? Ist das auch ein Zwang?«
Vincent war die Frage sichtlich unangenehm.
»Was ist los? Das ist eine legitime Frage. Mit eindeutigem Bezug zum einundzwanzigsten Jahrhundert«, verteidigte ich mich.
»Ja, wir entfernen uns allerdings ziemlich von der Ausgangsfrage.« Während er meinen sturen Gesichtsausdruck studierte, klingelte sein Handy.
»Puh, das rettende Telefonklingeln«, sagte er und zwinkerte mir zu, während er dranging. Die hohe, panisch klingende Stimme konnte ich sogar bis über den Tisch hören. »Ist Jean-Baptiste bei dir? Gut. Beruhig dich, Charlotte«, sagte er tröstend. »Ich bin gleich da.«
Vincent zog sein Portemonnaie hervor und legte einen Geldschein auf den Tisch. »Ein dringender Notfall. Ich muss sofort los und helfen.«
»Darf ich mitkommen?«
Er schüttelte den Kopf, während wir aufstanden. »Nein. Es gab einen Unfall. Könnte sein, dass es ein bisschen ...«, er machte eine Pause und suchte die richtigen Worte, »schlimm anzuschauen ist.«
»Wer?«
»Charles.«
»Und Charlotte ist bei ihm?«
Vincent nickte.
»Dann will ich mitkommen. Sie klang wahnsinnig aufgelöst. Ich kann bei ihr bleiben, während ihr regelt, was zu regeln ist — was immer das auch sein mag.«
Er schaute einen Moment in den Himmel, als warte er auf eine göttliche Eingebung, die ihm half, mir die Sache zu erklären. »Das ist gerade irgendwie nicht normal. Wie ich vorhin gesagt habe, sterben wir normalerweise ein oder zwei Mal im Jahr, um jemanden zu retten. Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass Jules und Ambrose gestorben sind, seit wir beide angefangen haben, uns zu treffen.«
Wir waren mittlerweile beim Roller angekommen. Vincent löste das Schloss und setzte seinen Helm auf.
»Aber so lebst du nun mal. Du hast mir versprochen, nichts vor mir zu verbergen. Vielleicht ist das ja etwas, das ich mal mit eigenen Augen sehen sollte, damit ich weiß, was es heißt, mit einem Revenant befreundet zu sein.« Eine leise Stimme meldete sich in meinem Kopf. Sie sagte, ich solle aufgeben, nach Hause gehen und mich einfach aus Vincents »Familienangelegenheiten« heraushalten. Ich ignorierte sie.
Er legte einen Finger an mein Kinn, ich biss stur die Zähne aufeinander. »Kate, ich möchte wirklich nicht, dass du mitkommst. Aber wenn du weiter darauf bestehst, dann werde ich dich nicht daran hindern. Ich hatte einfach nur gehofft, dass wir uns erst besser kennenlernen könnten, bevor du das Schlimmste siehst. Aber du hast recht, ich sollte unseren Alltag nicht vor dir verheimlichen.«
Ich streifte den Helm über und klemmte mich hinter ihn auf den Roller. Vincent startete, wir fuhren los in Richtung Seine, am Eiffelturm vorbei, bis wir in einen kleinen Park vor der Pont de Grenelle einbogen. Ich kannte diesen Park, dort halten die Schiffe, mit denen man Bootstouren durch Paris machen kann, bevor sie kehrtmachen und zurück in die Innenstadt fahren.
Eines dieser Schiffe war am Ufer vertäut, hinter einer Polizeiabsperrung stand eine nervöse, neugierige Menge Schaulustiger und beobachtete das Geschehen. Zwei Krankenwagen und ein Löschfahrzeug standen mit eingeschaltetem Blaulicht auf dem Rasen direkt am Flussufer.
Vincent lehnte die Vespa gegen einen Baum, ohne sie abzuschließen, nahm meine Hand und lief mit mir bis zur Absperrung. Zu dem Polizisten, der dort stand, sagte er: »Ich gehöre zur Familie.« Aber der rührte sich keinen Millimeter vom Fleck, sondern warf nur einen fragenden Blick zu seinem Vorgesetzten.
»Lassen Sie ihn durch, das ist mein Neffe«, hörte ich eine bekannte Stimme. Jean-Baptiste schritt durch das Gewusel von Rettungssanitätern
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