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Rheingau-Roulette

Rheingau-Roulette

Titel: Rheingau-Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sia Wolf
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entging nichts in ihrem Haus. Hannes arbeitete sich mit der Verbissenheit eines tollwütigen Hundes durch jedes Zimmer.
    Kein Bild, kein Brief, kein Dokument überlebte das vernichtende Handeln, das Judith unter Hannes drohenden Blicken durchführen musste. Ihre Bücher zerrissen und zerschnitten. Ihren Schmuck musste sie mit der Axt zerstören. Die Möbelstücke lagen nur noch in Bruchstücken in den Zimmern, das Porzellan zerstoßen in der Küche. Die Teppiche übersäht mit Glasscherben und Weinflecken. Der Computer geöffnet, die Festplatte mit einem Magnet bestrichen und anschließend zerstört.
    Die Inneneinrichtung des Badezimmers in eisiger Zerstörungswut zerlegt, die Armaturen herausgebrochen, die Fensterscheiben zerschlagen.
    Sie arbeitete mechanisch. Hannes wies ihr nur noch das Zimmer an und sie begann ihre Arbeit. Sie fühlte nichts mehr.
    Das letzte Zimmer war das Wohnzimmer. Es war noch heil. Sie hatte Durst. Und sie war müde. So unendlich müde.
    Hannes holte das letzte unzerstörte Glas, füllte es mit Wasser und setzte sich ihr gegenüber auf den Sessel, auf dem sonst immer Milan saß.
    „Möchtest du?“
    Sie nickte. Ja. Oh ja. Sie hatte so einen Durst.
    „Erzähl mir von Frank.“
    Sie nickte heftig. Ja. Sie würde ihm alles erzählen. Alles. Wenn er nur endlich ginge und sie schlafen könnte.
    Die Nacht war weit vorangeschritten, der Morgen würde bald zu dämmern beginnen. Hannes hatte ihr das Klebeband abgenommen und sie hatte erzählt. Alles. Von Milan. Von seinen Manipulationen am Boiler von Alexandra. Von der Scherenattacke auf Alexandra. Von den Freundinnen, die ihr ein Alibi verschafften. Zwischendurch durfte sie trinken. Und dann musste sie sich die Haare abrasieren. Erst die Augenbrauen. Die Wimpern abschneiden. Und dann die Haare. Ihre schönen langen blonden Haare.
     
     
    Vor und zurück. Die lächelnde Frau kam mit einem Mann wieder, der ein Tablett trug. Sie redeten mit ihr. Die Frau hielt ihren Arm fest. Der Schmerz kam wieder.
    Vor und zurück, vor und zurück.
    Sie bewegte ihren Arm. Nicht. Sie durfte sie nicht festhalten, sie schüttelte die Hand der Frau ab. Die Stelle, an der die Hand gelegen hatte, brannte, brannte lichterloh wie Feuer.
    Vor und zurück.
    Die Frau hielt sie an beiden Armen fest. Sie redete schnell und laut und sie lächelte nicht mehr. Der Mann hatte das Tablett zur Seite gestellt und half ihr dabei, half dieser schrecklichen Frau ihr diese unsägliche Pein zuzufügen.
    Sie wehrte sich, sie wollte diese Schmerzen, diese unerträglichen Schmerzen nicht mehr empfinden. Sie wollte nur noch ihren Rhythmus spüren und ihm folgen. Sie waren zu stark für sie, sie überwältigten sie.
    Ein unerträglicher Stich, den sie im Arm fühlte, war das Letzte, das sie neben den Schmerzen spürte.
     

8. Kapitel: November
     
    Alexandra stand am Schreibtisch und suchte nach den Unterlagen, die ihr Frank zusammengestellt hatte.
    „Blöd“, knurrte sie ungeduldig. Wieso fand sie nicht die Anleitung, wie sie ihren Laptop in ihr Computernetz einbinden konnte? Sie wusste, Frank hatte alles aufgeschrieben. Sie hatte ihn darum gebeten, als er ihr das Netzwerk eingerichtet hatte. Sie hatte neben ihm gestanden und irgendwann hatte sie ihn panisch gefragt, wie sie sich das alles merken sollte, was er ihr im Schnelldurchlauf erklärte.
    „Ah, eine IA!“, hatte Frank sie süffisant angegrinst.
    „Was ist eine IA?“
    „Eine Informationstechnische Analphabetin! Wie süß. Dass es das noch gibt.“ Er lachte sie an. „Aber wenigstens bist du die hübscheste IA, die ich in der letzten Zeit behandeln musste. Früher hat man das übrigens ‚Dau’ genannt, dümmster anzunehmender User. Eine sehr rustikale Ausdrucksweise, wie ich finde. Ich bevorzuge IA. Es gibt übrigens eine Menge männlicher IAs. Die glauben, sie wüssten Bescheid, haben aber letztlich keine Ahnung. Wenn du mich fragst, die schlimmste Sorte aller IAs.“
    Frank hatte ihr nach diesem Gespräch versprochen, einen Ordner für sie anzulegen und sich auch daran gehalten, das hatte sie gesehen. Aber wo waren diese verflixten Unterlagen jetzt?
    Für das Chaos in ihrer Ablage und in ihrem Leben konnte sie niemand anderen verantwortlich machen als sich selbst, das wusste sie. Aber jemand, der ‚Schuld’ hätte, wäre jetzt ganz schön, musste sie zugeben.
    Sie seufzte. Draußen wurde es dämmrig, kein Wunder. Es war schon nach vier und das trübe Regenwetter ließ die Dunkelheit noch eher hereinbrechen, als es um

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