Rheingau-Roulette
verließ sie die Übelkeit auch tagsüber nicht.
Es war egal, was sie aß oder trank, es blieb nicht lange in ihrem Magen. In den ersten Tagen der Übelkeit hatte sie noch angenommen, sich einen Virus eingefangen zu haben. Mehrere von den Kindern, die sie behandelte, hatten in den letzten Wochen unter Durchfall und Übelkeit gelitten, dem alljährlichen herbstlichen Hoch der Magen-Darm Infekte. Nach zwei Wochen ohne Besserung ihrer Symptome hatte sie ihren Hausarzt aufgesucht, der eine Schwangerschaft mutmaßte und sie zum Frauenarzt schickte. Sie kaufte sich auf dem Heimweg einen Schwangerschaftstest in der Apotheke und saß anschließend wie zur Salzsäule erstarrt daneben. Als sie nun den Termin bei ihrer Ärztin wahrnahm, saß diese ihr mit einem breiten Lächeln gegenüber.
„Na, Frau Rabe, es hat geklappt. Endlich, nicht wahr? Wie schön. Da können wir uns ja die Prozedur unterstützender Maßnahmen sparen. Manchmal muss man der Natur halt einfach vertrauen und ihr etwas Zeit lassen. Wenn man so weit ist, wird es schon. Was sagt denn Ihr Mann dazu?“
Alexandra sah sie an. „Es gibt ihn nicht mehr.“
Ihre Ärztin sah verdutzt von ihrer Karteikarte auf. „Tja, auch das gibt es häufiger als man denkt. Wann waren sie das letzte Mal bei mir? Warten Sie“, sie blätterte durch die dicke Akte vor sich. „Ja, ich sehe. Im August letzten Jahres.“ Sie nickte Alexandra zu. „Manche Partnerschaft übersteht eine Fehlgeburt nicht. Und bei manchen Paaren sind Konflikte in der Beziehung der eigentliche Grund, warum sich keine Schwangerschaft einstellt.“ Sie lächelte wieder.
„Aber bei Ihnen hat es ja nun gut geklappt. Und gegen Ihre Übelkeit können wir etwas tun. Ich empfehle gern Ingwertee. Keinen Kaffee, Alkohol sowieso nicht und keine strengen Gewürze. Viel frische Luft. Nach der zwölften Woche haben es die meisten überstanden.“
Sie forderte Alexandra auf, sich auf die Liege zu legen und tastete ihren Bauch mit dem Ultraschallgerät ab. Alexandra konnte auf dem Monitor einen kleinen Punkt erkennen. Die Ärztin sah sie fröhlich an. „Darf ich vorstellen: Ihr Mitbewohner. Oder Ihre Mitbewohnerin! Sieht alles ganz normal aus.“ Sie nickte zufrieden. „Aufgrund Ihrer sehr unregelmäßigen Periode ist es ein wenig schwierig, den genauen Stand der Schwangerschaft zu berechnen. Nach der Größe des Embryos schätze ich zwischen der sechsten und siebten Woche. Könnte das stimmen?“
Alexandra schluckte. „Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es nicht so genau. Aber mir wäre die siebte Woche lieber als die sechste Woche.“
Die Ärztin sah sie scharf an. „Ach, du liebe Zeit. Zwei mögliche Väter?“
Alexandra nickte. „Mögliche Erzeuger. Ob es Väter werden, weiß ich nicht.“
„Und die möglichen Erzeuger wissen noch nichts?“
Alexandra schüttelte den Kopf. Aber sie lächelte. „Es ist mir egal, ob es Väter werden oder Erzeuger bleiben. Ich freue mich auf mein Kind. Aber ...“ Ihr traten unvermittelt die Tränen in die Augen. Hastig zog sie ein Taschentuch aus der Tasche und schnäuzte sich. „Ich habe Angst, dass es nicht bei mir bleibt.“
Die Ärztin tätschelte beruhigend ihren Arm. „Nun machen Sie sich mal nicht verrückt. Es ist viel zu früh, um irgendetwas Schreckliches zu vermuten. Sie sind schwanger und jetzt kommen ein paar Hormonumschwünge auf Sie zu, das ist ganz normal. Wenn Sie Ihre Erzeuger-Männer außen vor lassen wollen, dann tun Sie das. Haben Sie eine gute Freundin, mit der Sie schwanger sein können?“
Alexandra nickte.
„Na, dann ist doch alles gut. Und, was Sie mit den Männern machen... Da haben Sie noch gut sieben Monate Zeit, um sich zu entscheiden.“ Die Ärztin lächelte sie ermutigend an. „Wiedersehen Frau Rabe, wir sehen uns in zwei Wochen. Und denken Sie dran: Das Wichtigste ist, dass Sie sich nicht überanstrengen. Gönnen Sie sich ausreichend Ruhephasen und genießen Sie die Schwangerschaft. Wir passen schon auf Sie auf!“
Alexandra hatte die Praxis mit einem neuen Termin, einem Rezept für ein homöopathisches Mittel sowie einem Kochrezept für Ingwertee verlassen. Den Mutterpass würde sie erst bekommen, wenn sie die zwölfte Woche mit Kind überstanden hätte. Man sagte ihr das mit Rücksicht auf ihre Fehlgeburt nicht so deutlich, aber sie spürte den Satz förmlich in der Luft hängen, als die freundliche Arzthelferin ihre Patientenkartei auf den neuesten Stand brachte. Sie nahm den direkten Weg in die Apotheke, kaufte sich die
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