Rheingau-Roulette
verordneten Mittel und ging in ihre Praxis. Von dort aus rief sie Caro an und fragte, ob sie nachmittags vorbeikommen könne.
„Das passt gut, Letzie, ich backe gerade Kirschkuchen. Gibt auch Sahne dazu!“
„Lieb von dir, aber ich glaube, mir ist nicht nach Sahne. Auf jeden Fall trinke ich keinen Kaffee. Hast du einen Ingwertee da? Sonst bringe ich einen mit.“
„Ingwertee? Sag mal, Süße, bist du krank? Ich hab nur die kleine Kinderapotheke: Außer Kamille, Pfefferminz und Fenchel habe ich nichts dergleichen im Haus.“
Alexandra machte einen kurzen Abstecher in ihre Wohnung, um den Ingwertee zu holen, bevor sie sich zu Caro auf den Weg machte. Sie hatte ihr Auto vor dem Haus, in dem ihre Wohnung lag, abgestellt. Es war ein seltener Luxus, direkt vor dem kleinen Mehrfamilienhaus einen Parkplatz zu ergattern. Nach kurzer Überlegung entschloss sie sich, das Auto stehen zu lassen und zu Caro zu laufen. Der Spaziergang würde ihr gut tun. Langsam und gemütlich würde sie gehen. Sie lächelte in sich hinein und drückte eine Hand auf ihren Bauch. Gehen, nicht laufen. Ihre Laufschuhe würde sie in einen Karton packen und für die nächsten Monate einmotten können. Bei Hannes. Leise zitternd zog sie ihre Jacke enger zusammen. Die Luft war frisch. In der letzten Zeit hatte es sintflutartige Regenfälle gegeben und die Tage verliefen grau in grau, ganz anders, als man sich einen Oktober wünscht. Der heiße Sommer war direkt, ohne Ambitionen auf einen farbenfrohen Altweibersommer in einen unwirtlichen, tristen und feuchten Spätherbst umgeschlagen. Alexandra sah zum Himmel. Der nächste Regenguss kündigte sich an. Leise nieselten kalte Tropfen auf ihre Jacke. Das Frösteln ließ nicht nach, aber sie wusste auch, dass es nicht der Regen und der kühle Wind allein waren, die sie zittern ließen. Es war der Gedanke an Hannes.
Hannes, wie er morgens bei Stella aus dem Haus kam, noch in der gleichen Jeans und dem Hemd wie am Abend zuvor und wie er Stella umarmte. Sie hatte die Szene schon tausendmal vor ihrem inneren Auge abgespielt, ebenso wie den Abend mit Thessmann. Sie seufzte. Es war sinn- und zwecklos, sich jetzt das Hirn darüber zu zermartern, wie sie mit der möglichen Vaterschaft einer der beiden Männer umgehen sollte. Zuerst musste das Kind bei ihr bleiben. Und Caro musste es erfahren. Sie hatte den Schwangerschaftstest aus ihrer Wohnung mitgenommen und würde ihn Caro präsentieren. Und vielleicht würde sie mit ihr über die beiden möglichen Väter sprechen. Vielleicht.
Caro öffnete fröhlich lächelnd die Tür und schickte Alexandra ins Wohnzimmer, in dem der kleine Schwedenofen freundlich flackerte und eine angenehme Wärme verstrahlte. Ihre Töchter saßen auf dem Boden, spielten mit ihren Puppen, malten und begrüßten Alexandra fröhlich und lautstark. Caro hatte den Tisch hübsch mit herbstlicher Dekoration geschmückt und der Duft frisch gebrühten Kaffees zog durch die Räume. Die Atmosphäre war anheimelnd und erinnerte an amerikanische Bilderbücher mit Szenenapplaus.
Als Alexandra die ersten Spuren des Kaffeegeruchs wahrnahm, drehte sich ihr Magen um. Ohne weitere Vorankündigung von Übelkeit löste der Duft von Kaffee, den sie eigentlich liebte, massiven Brechreiz aus. Sie rannte durch den Flur, vorbei an Caro, die ihr aus der Küche mit einer Kanne Kaffee in der Hand entgegenkam, und schaffte es gerade noch, den Toilettendeckel zu öffnen, bis sie sich schwallartig erbrach. Es nahm kein Ende. Sie spuckte und spuckte, bis nur noch Gallenwasser kam. Erschöpft und zitternd sank sie vor der Toilette zusammen. Caro hatte ein Handtuch mit kaltem Wasser getränkt und legte es ihr sanft in den Nacken.
„Bist du krank oder schwanger?“
„Schwanger.“
Alexandra nahm das Handtuch und rieb sich über das Gesicht.
„Fury?“
Das zarte Lächeln auf Caros Gesicht verschwand, als sie forschend in Alexandras Augen blickte und die leise und erschöpft antwortete: „Vielleicht. Weiß nicht. Könnte auch Thessmann sein.“
„Ach herrje.“ Caro sank neben ihr nieder.
„Du sagst es.“
„Und jetzt?“
„Krieg ich ein Kind.“ Alexandra sah ihre Cousine an. Die Tränen der Angst schossen ihr heiß und schnell in die Augen.
„Wenn es bei mir bleibt.“
Sanft strich Caro ihr die Haare aus der Stirn. „Schscht. Denk nicht an so etwas. Denk nicht dran. In der wievielten Woche bist du?“
„Konnte die Ärztin nicht sagen. Und“, Alexandra lächelte ihre Cousine schwach an, „ich
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