Rheinmaerchen
boten, nicht ihr Abendgebet mitbeteten, als die kleinen Betten und Wiegen leer neben ihnen standen; ach! da ward kein Bissen ohne Tränen von ihnen genossen, kein Schlaf kam über ihre Augen. Bange griffen zu allen Stunden der Nacht die armen Mütter in die leeren Wiegen, um sich von ihrem Verluste zu überzeugen, und als sie gegen Morgen ermüdet einschliefen, träumten sie von ihren Kindern, wie sie in den Wellen herumgeschleudert würden über Felsen und Steine hin und in die Mühlräder hinein; andere träumten, sie wären noch da, und wenn sie plötzlich erwachten, sahen sie, es war nur ein Traum, und erweckten die Nachbarn von neuem mit ihrem Jammergeschrei.
So begann ein neuer Unglückstag, und viele andere würden ebenso traurig gewesen sein, wenn nicht eine neue Qual die armen Mainzer überfallen hätte. Alle Donnerstag war gewöhnlich Kornmarkt in der Stadt, wo Bäcker und Hauswirte sich ihr Brotkorn kauften, das die Bauern aus der Gegend zu Markte brachten.
Der Tag war wieder herangekommen und alle Bäcker und Bürger gingen mit ihren Säcken auf den Platz, um zu kaufen; aber da war kein einziger Bauer mit Korn gekommen.
Sie wußten nicht, was das zu bedeuten habe, bis auf einmal eine Menge Bauern von allen Orten kamen, aber auch mit leeren Säcken, sie wollten Korn kaufen; »denn«, sagten sie – »die Mäuse haben bei uns alle Felder verwüstet; wir haben keine Ernte gemacht, und wenn wir kein Korn kriegen, können wir nicht wieder säen.« Da sie aber sahen, daß hier auch nichts zu kaufen war, ward die Sorge bald heftiger, und alles Volk schrie bald laut: »Hungersnot! Hungersnot! zum König! zum König! der hat noch alle Speicher voll« – und so zogen nun ein Menge Leute vors Schloß und riefen: der König solle heraus auf die Galerie kommen.
Als er nun nach langem Rufen herauskam, rief er ganz unwillig herunter: »Was will das Gesindel? Kann ich niemals Ruhe haben? Ich glaubte, da ich nun meine unvernünftige Tochter verloren habe, ich könnte endlich mal ein Glas Wein in Frieden trinken; aber da macht die Bagage schon wieder Spektakel.« Nun schrieen ihm die Leute hinauf: sie wollten Korn haben; durch ihn seien die Mäuse in das Land gekommen, die auch kein Hälmchen auf dem Felde verschont hätten, und nun solle er ihnen auch Korn zur Aussaat und zum Brot geben. Der König antwortete: »Warum habt ihr nicht besser gewirtschaftet; das Korn, das ich aufgespeichert habe, das ist für mich und meine Soldaten.« Da schrieen die Leute: »Deine Soldaten sind unsere Söhne, wegen ihnen werden doch nicht ihre Eltern verhungern sollen.« Da schrie der König wieder herab: »Wenn ihr den sechsfachen Preis bezahlen wollt, sollt ihr jeder einen Sack voll haben« damit schlug er das Fenster zu. Die Leute aber wurden ganz wild und unsinnig und warfen ihm Steine ins Fenster und schrieen: »Mache uns Brot draus!« Da ließ der König ihnen sagen: sie sollten so viele Bürger in das leere Stadtkornhaus senden, als hineingingen, und allen denen wolle er Korn geben; da drängten sich die Leute fast zu Tod in das Haus und standen sie so dicht bei- und übereinander, daß kein Apfel darin auf den Boden fallen konnte; als sie nun alle drin waren, ließ der König die Tore des Kornhauses schließen und die Brücken drum herum aufziehen; denn das Haus war gebaut wie ein festes Schloß und rings mit Wassergräben umgeben, um es gegen Feuergefahr und Diebstahl zu sichern. Nun ließ er ringsherum noch Soldaten stellen, und die halbe Stadt hatte er so unbarmherzig zum Hungertode eingesperrt.
Tag und Nacht jammerten und wimmerten die armen Leute drin, daß es zum Erbarmen war, vor Hunger und Elend, und am zweiten Tag ließ ihnen der König einige Brote hineinwerfen, um die sie aus Hunger einander zu Tode schlugen. Und als die übrigen Leute vor dem Schlosse auf den Knien lagen und um Erbarmen für die armen Gefangenen baten, rief der König ihnen vom Fenster herab: »Hört ihr denn nicht, wie meine Kornmäuse im Kornhause pfeifen! Soll ich euch auch zu den andern sperren, weil ihr mir die Ohren so voll schreit!« – und so gingen die Leute voll Angst und Verzweiflung wieder nach Haus.
Von der guten Frau Marzibille und ihrem lieben Ameleychen, von dem Weißmäuschen und dem Goldfischchen.
Unter den Armen war auch eine gute Frau, die Marzibille hieß; ihr Mann war ein armer Fischer, der auch mit im Kornhaus eingesperrt war, und hatte sie ein sehr schönes Töchterchen gehabt, das Ameleychen hieß und mit den andern
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