Rheinmaerchen
hinderlich auf der Reise, und ich werde in deinem kurzen Röckchen viel schneller gehen können.« Murmeltierchen mußte nun mit der Frau Lureley die Kleider wechseln, und ihr dann die Haare kämmen und flechten, wie sie es selbst trug. Aber wie wunderte sie sich, als ihr aus den Haaren der Frau Lureley lauter Perlen und Edelsteine in den Schoß fielen. »Die schenke ich dir alle«, sagte Frau Lureley; »jetzt will ich mich in dem Brunnen betrachten, wie mir dein Kleid steht«, und indem sie in den Brunnen sah, sagte sie: »O, allerliebst!« und sprang in den Brunnen hinab.
Murmeltier trat nun an den Brunnen und sagte: »Leb wohl, leb wohl, lieb Wasserfräulein! vergiß das arme Murmeltier nicht!«
Da tauchte Frau Lureley noch einmal hervor und sprach: »Mein liebes Kind! ertrage alles mit Geduld, bleibe fromm, fleißig und demütig, und wenn du in großer Not bist, so stürze dich in diesen Brunnen; ich will der Brunnenfrau, die drin wohnt, sagen, daß sie sich deiner annehmen soll. Nun leb wohl!« Da verschwand sie.
Murmeltier sah noch hinab, und da sie ihr eigenes Bild so schön geschmückt im Wasserspiegel sah, dachte sie nicht, daß sie es selbst sei und sagte nur immer: »Je, die schöne, liebe Lureley!« Nun wusch sie ihre Erdbeeren in dem Wasser und ließ dann ihre Herde trinken, nahm den Rocken und das Erdbeerenkörbchen und zog nach Hause, mehr an die liebe Frau denkend als an die harte Begegnung, die sie erleiden würde.
Als sie aber den Mond über den Bäumen heraufsteigen sah, ergriff sie eine große Angst, daß es schon so spät sei, und sie eilte furchtsam in ihre Hütte, trieb die Schafe in den Stall, nahm ihren Rocken und ihre Erdbeeren und trat an die Türe. Da hörte sie schon drin ihre Schwester zanken. »Das faule Murmeltier ist schon wieder zu spät nach Hause gekommen, Mutter!« sagte sie, »und wenn sie nicht alles fertig hat, so will ich sie recht anfahren und ihr das Brot nehmen.« – »Ja,« sagte die Mutter, »das häßliche, freche Mädchen weiß gar nicht mehr, was sie vor Übermut treiben soll; hat sie nicht gestern gar einen Kranz von Rosen auf dem Kopf gehabt, als sie aus dem Walde kam; es wundert mich nicht, daß sie nie mit ihrer Arbeit fertig wird, wenn sie solche Eitelkeit treibt.« – »Ich habe ihr aber den Kranz heruntergerissen und mit Füßen getreten«, sagte die böse Schwester, »und ihr einen Strohkranz gegeben. Wo sie nur so lange bleibt? Ich habe doch die Schafe schon blöken hören; sie hat gewiß wieder etwas angestellt und fürchtet sich, hereinzugehen; aber ich will sie schon bei den Ohren hereinziehen.« Nach diesen Worten riß Murxa (so hieß die böse Schwester) die Türe auf, um das Murmeltier zu holen; aber wie erstaunte sie und die Mutter, als sie die glänzende, von Silber schimmernde Jungfrau auf der Schwelle stehen sahen. Die Frau Wirx, so hieß die alte Frau, und Murxa erkannten sie nicht und warfen sich vor ihr auf die Knie, denn sie hielten sie für eine Königin. Murmeltier aber sagte: »Liebe Mutter, liebe Schwester, ach! kennt ihr mich denn nicht mehr? Ich bin ja Murmeltier, eure Tochter.«
Nun erkannten sie das arme Kind an der Stimme und kamen auch gleich in den größten Zorn. »Ei! sieh da! das garstige Murmeltier läßt sich auf den Knieen verehren«, schrie Murxa. »Wo hast du die prächtigen Kleider gestohlen?« sagte Wirx. »Herunter mit den Kleidern!« schrie die Schwester, »ich will sie anziehen« – und so ging es in einem Zanken fort.
Murmeltier ließ sich ruhig die Kleider ausziehen, gab der Mutter die Erdbeeren; die waren aber lauter Goldkörner, und dabei lagen die Perlen, die sie der Lureley aus den Haaren gekämmt hatte; darüber war die Mutter von neuem erstaunt, und als sie ihr den Rocken gab, war das Gespinnst reines Silber. Aber alles war nicht recht; bei allem wurde sie gezankt, und da sie von Frau Lureley erzählte, sagte Murxa: »Morgen werde ich hin gehen und werde ganz anders beschenkt werden; die Frau Lureley muß nicht recht gescheit sein, daß sie sich so lang mit dir, häßliches Murmeltier! abgegeben« – und nun kniff sie dem armen Mädchen aus Bosheit in den Arm, daß sie laut weinte. »Fort auf dein Stroh, Murmeltier!« sagte Frau Wirx, »schreie uns hier die Ohren nicht voll« – und Murmeltier wünschte freundlich gute Nacht und ging auf ihr dürftiges Lager.
Aber sie konnte vor Traurigkeit nicht schlafen und weinte immerfort und sagte: »Ach! so ist denn, solange ich lebe, noch kein Mensch freundlich
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