Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
(Johanna Rosine, geb. Pätz, 1778–1848) eigens nach Lauchstädt gefahren, um die Uraufführung von Schillers Braut von Messina zu erleben. Zu diesem Trauerspiel wird Wagner 1830 eine (verschollene) Ouvertüre (WWV 12) schreiben, welche er in jugendlicher Bescheidenheit »für gelungener als das aufgeführte Werk« hielt (ML 61) – wohl angeregt durch die Aufführung von Schillers Chordrama am Königlich Sächsischen Hoftheater Leipzig, bei der seine Schwester Rosalie die Beatrice darstellte. Sogar eine merkwürdige erotische Verbindungslinie von Wagner zum weimarischen Fürstenhaus lässt sich ziehen, war seine Mutter in früher Jugend doch wahrscheinlich die Geliebte des Prinzen Constantin von Sachsen-Weimar gewesen, der sich durch die Finanzierung ihrer Ausbildung in einer Leipziger Erziehungsanstalt erkenntlich zeigte.
Abb. 1 : Das Geburtshaus Richard Wagners auf dem Brühl in Leipzig
Wagner wuchs – als neuntes Kind seiner Eltern – in eine durchaus musische Familie hinein. Da nimmt es nicht wunder, dass seine sechs überlebenden Geschwister die künstlerische Laufbahn anstrebten oder sich Künstler und Intellektuelle zu Ehepartnern wählten. So wurde Albert (1799–1874) Sänger und Regisseur, Rosalie (1803–1837) wie Luise (1805–1871) reüssierten als Schauspielerinnen; Rosalie war das erste Leipziger Gretchen in Goethes Faust , was Wagner wohl – wie im Falle der Ouvertüre zur Braut von Messina – zu seinen Sieben Kompositionen zu Goethes ›Faust‹ (WWV 15, 1831) angeregt hat, die also ein Jahr vor Goethes Tod entstanden sind. Wagner hätte sie ihm theoretisch noch präsentieren können.
Nach dem Tode Friedrich Wagners nahm sich Ludwig Geyer der Familie an und heiratete Wagners Mutter an Goethes 65. Geburtstag 1814. Die Familie zieht mit ihm nach Dresden, wo Geyer am Hoftheater als Schauspieler wirkt, sich in seinen Nebenstunden aber als Porträtmaler sein und der vielköp fi gen Familie Brot verdient. Im Hause Geyer verkehren viele Dresdener Künstler, so der 1816 als Musikdirektor der Oper nach Dresden berufene Carl Maria von Weber, der für Wagner – zumal seit der Freischütz -Uraufführung in Berlin im Juni 1821 und der Dresdener Erstaufführung ein halbes Jahr später, ein Werk, das Wagner förmlich in einen musikalischen Rausch versetzt – eine aus der Kindheit auf sein ganzes späteres Leben und Wirken ausstrahlende musikalische Lichtgestalt wird. 1844 wird er sich als Dresdener Hofkapellmeister für die Überführung der sterblichen Überreste Webers von London nach Dresden einsetzen, komponiert einen Gesang für Männerchor An Webers Grabe (WWV 72) sowie eine Trauermusik nach Motiven aus Euryanthe (WWV 73) für die Beisetzung und hält eine Trauerrede auf den verehrten und geliebten Komponisten, die in dem Satz gipfelt: »Nie hat ein deutscherer Musiker gelebt, als Du!« (GS II, 47)
Abb. 2 : Johanna Rosine Wagner (geb. Pätz; 1778–1848), die Mutter Richard Wagners
Auch den Stiefvater, zu dem er o ff enbar eine tiefe Zuneigung hatte, verliert Wagner 1821 im Alter von sieben Jahren. Im Jahr darauf wird er als Wilhelm Richard Geyer in die Dresdener Kreuzschule aufgenommen, in der er 1827 auch kon fi rmiert wird. Vielfach ist darüber spekuliert worden, ob Geyer Wagners eigentlicher Vater gewesen sei und sich sein späterer Antisemitismus nicht als verdeckter jüdischer Selbsthass darstelle; habe Geyer doch aufgrund seines Namens als Jude gegolten. In einer Fußnote der »Nachschrift« zu Der Fall Wagner hat schon Nietzsche ironisch gefragt: »War Wagner überhaupt ein Deutscher? […] Sein Vater war ein Schauspieler Namens Geyer. Ein Geyer ist beinahe schon ein Adler …« (SW I, 41). Doch all das sind haltlose Spekulationen. Für Wagners Abstammung von Ludwig Geyer gibt es keinerlei Anhaltspunkte, noch weniger dafür, dass Geyer sich – und Wagner ihn – für einen Juden gehalten hat. Adler ist ein häu fi g vorkommender jüdischer Name, Geyer hingegen ein traditioneller deutscher Familienname, und Ludwig Geyer entstammte einer alten sächsisch-anhaltischen Pastoren- und Kantorenfamilie, so dass Nietzsches Spitze selbst dann nicht träfe, wenn Geyer der Vater Wagners gewesen wäre.
Abb. 3 : Ludwig Geyer (1779–1821), Richard Wagners Stiefvater
Der frühe Tod von Vater und Stiefvater brachte die Familie Wagner in erhebliche materielle Schwierigkeiten und ist mit die Ursache dafür, dass Richards Erziehung und Schulbildung von beträchtlichen Unregelmäßigkeiten geprägt
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