Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
verbunden, dieser als sein ent fl ammtester Prophet in der nächsten Dichtergeneration. Die wenigen vergleichbaren Beispiele eines bedeutenden literarischen Wagnerismus im deutschen Sprachraum fi nden sich bezeichnenderweise vor allem bei denjenigen Autoren, die sich an der französischen und überhaupt an der Literatur der Romania orientieren – wie Nietzsche, Hugo von Hofmannsthal oder mit Einschränkungen auch Thomas Mann.
Die Faszination Wagners rührt mehr als die jedes anderen Komponisten der Musikgeschichte nicht nur von seinem Werk, sondern zugleich von seiner musikalischen und außermusikalischen Wirkung her. Das vorliegende Buch wird diese Wirkungsgeschichte Wagners, zu welcher der Verfasser in den letzten Jahrzehnten selber eine Reihe von Beiträgen beigesteuert hat, nur am Rande berühren können. Es konzentriert sich auf Wagners Werk selber – und zwar nicht nur auf das musikalisch-dramatische, sondern auch das literarische und theoretische – im Spannungsfeld seines Lebens, seiner persönlichen Beziehungen und seiner Zeit. Dabei soll jeglicher ›Biographismus‹ vermieden werden, der gerade die Wagner-Literatur bis in die jüngste Zeit hinein belastet hat.
Wagner selber hat dieser Belastung durch seine diversen autobiographischen Schriften bis hin zu Mein Leben Vorschub geleistet, aber sosehr er um die Authentizität der Wiedergabe seines Lebens bemüht war, hat er doch entschieden geleugnet, dass sich musikalische und überhaupt künstlerische Erscheinungen aus Lebenstatsachen ableiten lassen, wie die naive Biographik seiner Zeit – und die populäre unserer Zeit – wähnt, welche das, was bei einem Künstler schließlich zählt: das Werk, immer wieder hinter dem Leben zurücktreten lässt und dabei bedauerlicherweise auf lebhafte Zustimmung eines biographiesüchtigen und von geschäftstüchtigen Verlegern in dieser Sucht unterstützten Publikums stößt, das glaubt, mit dem Leben eines Künstlers sein Werk in der Tasche zu haben. In seiner Beethoven-Festschrift von 1870 hat Wagner sich etwa über die Versuche, zwischen der Eroica und Beethovens Beziehung zu Napoleon eine unmittelbare Verbindung herzustellen, lebhaft mokiert. Nichts, aber auch gar nichts lasse sich »für die Beurtheilung eines der wunderbarsten aller Tonwerke« aus jener Beziehung ableiten. »Können wir uns aus ihr auch nur einen Takt dieser Partitur erklären? Muß es uns nicht als reiner Wahnsinn erscheinen, auch nur den Versuch zu einer solchen Erklärung ernstlich zu wagen?« (GS IX, 64)
Zu den plumpsten ästhetischen Grundirrtümern der Moderne gehört es nach Wagners Überzeugung auch, »von den Dichtern anzunehmen, sie müßten erst ihre Dichtungen erleben« (zu Cosima, 22. Januar 1870; CT I, 191). Mit Hohn und Spott erzählt er in seinem Aufsatz Über das Dichten und Komponiren (1879) von Karl Gutzkow, dem man vorgeworfen habe, »daß er Dichterliebschaften mit Baroninnen und Grä fi nnen schildere, die er doch selbst gar nicht erlebt haben dürfte; wogegen dieser durch indiskret verdeckte Andeutungen ähnlicher wirklicher Erlebnisse sich mit Entrüstung vertheidigen zu müssen glaubte« (GS X, 144). Wagner hat für seine eigene Person solche Versuche, zwischen seinem Leben und seinem Werk unmittelbare Parallelen ziehen zu wollen, immer wieder rigoros verworfen. Erlebnisdichtung ist für ihn keine wahre Dichtung. Unter Verweis auf Cervantes’ Don Quijote konstatiert er: »Das wirklich Erlebte hat zu keiner Zeit einer epischen Erzählung als Sto ff dienen können.« Was den wahren Epiker auszeichne – und dafür ist ihm Cervantes das schlechthinnige Vorbild –, sei »das ›zweite Gesicht‹ für das Nieerlebte« (GS X, 144). Dies mag sich so mancher Künstlerbiograph, der glaubt, das Kunstwerk aus dem Leben erklären zu können, hinter die Ohren schreiben.
Der Musikologe Paul Bekker hat in seinem Buch Wagner: das Leben im Werke (1924) das Verhältnis zwischen Leben und Werk geradezu auf den Kopf zu stellen unternommen: nicht das Leben rufe das Werk hervor, sondern das Werk ziehe bestimmte Umstände des Lebens erst herbei. Wagner habe Tristan und Isolde nicht geschrieben, weil er in Mathilde Wesendonck verliebt gewesen sei, sondern er habe sich in sie verliebt, weil er Tristan schrieb. In der Tat dürfte es schwerfallen, in Wagners musikdramatischem Werk auch nur eine einzige echte autobiographische Reminiszenz dingfest zu machen. Umgekehrt hat er freilich Personen und Konstellationen seiner musikalischen Dramen
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