Richter 07
auch Eurer Gnaden Gehilfe angefallen wurde.«
»Ihm macht es nichts aus, er ist an solche Zusammenstöße gewöhnt. Hat sogar Spaß daran.« Zu dem jungen Mädchen gewandt, fragte er es: »Könntet Ihr mir sagen, nur um meine Notizen zu vervollständigen, wie Ihr an dem damaligen Abend in dieses Zimmer hereingekommen seid?«
Sie warf einen schnellen Blick auf die geschlossene Verandatür.
»Ich werde es Euch zeigen«, sagte sie aufstehend.
Auch der Richter stand auf und hielt sie am Arm, als sie zur Tür gehen wollte. Er sagte:
»Bemüht Euch nicht! Da Ihr von der Parkseite her kamt, gelangtet Ihr auf die Veranda über die breiten Stufen in der Mitte, wie ich vermute?«
»Ja.« Dann biß sie sich auf die Lippen, als sie bemerkte, daß ihr Vater plötzlich erblaßt war.
»Genau, wie ich mir dachte!« sagte Richter Di sehr ernst. »Machen wir Schluß mit dem Theater, wollen wir? Die einzigen Stufen zu dieser Veranda befinden sich an ihrem rechten und linken Ende. Ihr wart niemals hier, junges Mädchen! Heute nachmittag, als ich meine ersten Fragen an Euren Vater stellte, habt Ihr Euch gleich auf meine einleitenden Bemerkungen über den Akademiker eingestellt, der Euch verfolgte, und über Euren Vater, den man hier herum in der Todesnacht gesehen hatte. Ihr seid sehr geschickt im spontanen Erfinden von Märchen, angefangen mit seinem Vergewaltigungsversuch an Euch und der darauf folgenden Tötung des Angreifers durch Eure Hand – alles nur, weil Ihr dadurch Euren Vater zu retten glaubtet.« Als er sah, daß das Mädchen einen roten Kopf bekam und im Begriff war, in Tränen auszubrechen, fuhr er in versöhnlicherem Tone fort: »Eure Geschichte war zum Teil wahr, selbstverständlich. Der Akademiker unternahm tatsächlich einen solchen Versuch an Euch. Aber nicht vor drei Tagen und nicht in diesem Wohnzimmer. Das alles geschah vor zehn Tagen und an Bord des Bootes. Die Schrammen, die Ihr mir in so entgegenkommender Weise gezeigt habt, hatten sich bereits verfärbt, unmöglich konnten sie neueren Ursprungs sein. Eure Darstellung von Eurem Kampf mit dem Mann war auch nicht überzeugend! Wenn ein kräftiger Mann sieht, wie ein Mädchen, dem er Gewalt antun will, nach einem Dolch greift, wird er natürlich alles tun, um ihr die Waffe zu entwinden, und nicht fortfahren, sie zu umarmen mitsamt dem Dolch und allem übrigen. Und außerdem vergaßt Ihr, daß es die rechte Halsschlagader war, die durchstoßen wurde. Das deutet eher auf Selbstmord als auf Mord. Doch abgesehen von diesen Schönheitsfehlern habt Ihr mir wirklich eine sehr hübsche Geschichte aufgetischt, das muß ich schon sagen!«
Jadering brach in Schluchzen aus. Feng sah sie betrübt an, dann sagte er mit müder Stimme:
»Ich bin an allem schuld, Euer Gnaden. Sie wollte mir ja nur helfen. Als Ihr die Geschichte zu glauben schient, fehlte mir der Mut, Euch die Wahrheit zu gestehen. Ich brachte den niederträchtigen Akademiker nicht um, doch ist mir klar, daß man mich wegen Mordes anklagen wird. Denn ich, ich war an jenem Abend tatsächlich im Roten Pavillon. Ich …«
»Nein«, unterbrach ihn der Richter, »man wird Euch wegen des Mordes an ihm nicht beschuldigen. Ich habe Beweise, daß der Akademiker wirklich Selbstmord beging. Ihr vergrifft Euch an der Leiche, um den Selbstmord plausibel zu machen. Ich stelle mir vor, daß Ihr an jenem Abend hierher kamt, um ihn wegen seines gemeinsam mit dem Kunsthändler gegen Euch geplanten Komplotts zur Rede zu stellen, nicht wahr?«
»Ja, Euer Gnaden. Meine Leute hatten mir hinterbracht, daß Wen Yüan eine Kassette mit einer großen Summe Geldes in mein Haus einschmuggeln wollte. Darauf sollte mich der Akademiker wegen der Abgabe falscher Steuererklärungen bei der Provinzialbehörde anzeigen. Sollte ich das ableugnen, würde man das Geld in meinem Hause ›finden‹. Da meiner Meinung nach …«
»Warum habt Ihr mich von diesem Komplott nicht sofort unterrichtet?« fragte Richter Di vorwurfsvoll.
Feng schaute verlegen drein. Nach einigem Zögern antwortete er:
»Wir Inselbewohner hängen sehr zusammen, Herr. Bei uns war es stets Brauch, unsere Streitigkeiten unter uns auszumachen. Wir finden es … peinlich, fremde Leute mit unseren Lokalfehden zu belästigen. Das ist vielleicht falsch, aber wir …«
»Sicher ist das falsch!« unterbrach ihn der Richter erzürnt. »Erzählt weiter!«
»Als mir meine Leute den Anschlag Wen Yüans gegen mich hinterbrachten, beschloß ich, den Akademiker persönlich zu
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