Richter 07
Polizisten folgte ihr. Sie trugen an hohen Stangen befestigte, große rote Schilder mit des Amtmanns Lo vollem Rang und allen Titeln. Der Truppführer schob unter ehrerbietigem Buckeln den Türvorhang beiseite, und Amtmann Lo stieg heraus, im Glanz seiner grünen Amtsrobe und der geflügelten Richterkappe, sich mit einem zierlichen Faltfächer heftig Kühlung zufächelnd.
Als er Richter Di, neben seinem Pferd stehend, erblickte, lief er mit schnellen Trippelschrittchen auf ihn zu und rief in heller Aufregung aus:
»Mein älterer Bruder! Nein, so eine schreckliche Sache! Die Blumenkönigin der Paradiesinsel tot, unter geheimnisvollen Umständen! Die ganze Provinz wird darüber reden! Kam eiligst zurück, sobald mich diese traurige Nachricht erreichte, trotz dieser mörderischen Hitze! Denk’ aber nicht im Traum daran, Euch mit noch mehr Extraarbeit zu beladen, selbstverständlich!«
»Ihr Tod muß wahrlich ein schwerer Schlag für Euch gewesen sein«, bemerkte der Richter vieldeutig.
»Ich habe immer eine Schwäche für schöne Frauen gehabt, Di, immer! Hört:
Am Rande der staubigen Straße, in ew’gen Einerleis Grau
Glänzt allzu selten die Rose im schimmernden Morgentau!
Sie labt den durst’gen Wandrer, erfüllt mit Wonne das Sein,
Und lullt ihn, vom Duft den Berauschten, in süßeste Ruhe ein!
So faßte ich meine Gefühle kürzlich in Worte. Noch immer suche ich nach einem treffenderen, schöneren Ausdruck in der letzten Zeile. Trotzdem nicht schlecht, he? Ach ja, aber wie konnte das mit dem armen Mädel nur passieren?«
Richter Di hielt ihm die Dokumentenrolle hin.
»Hier steht alles drin, Lo. Ich wollte schon über Tschin-hwa reiten, um Euch diese Papiere zu übergeben, doch nun erlaubt mir, sie Euch hier an Ort und Stelle auszuhändigen. Ich habe Eile, heimzukehren.«
»Aber gewiß.« Lo klappte den Fächer zu und steckte ihn unternehmend in den Kragen hinter den Kopf. Dann entrollte er begierig die Papiere. Als er den Hauptbericht überflogen hatte, nickte er zufrieden und sagte:
»Ich sehe, daß Ihr mein Urteil über den Selbstmord des Akademikers bestätigt habt. Eine simple Routinesache! Ich sagte es Euch ja.«
Er fuhr im Lesen fort, jetzt war er beim Bericht über den Tod der Blumenkönigin. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß sein Name in Verbindung mit ihr nicht erwähnt war, nickte er zustimmend, rollte alle Papiere wieder zusammen und sagte mit einem zufriedenen Lächeln:
»Ausgezeichnete Arbeit, Di! Und auch fein geschrieben! Ich kann den Bericht unverändert an den Präfekten schicken – das heißt, beinah unverändert. Der Stil scheint manchmal ein bissel schwer, wenn ich das sagen darf, Di. Ich werde ihm, hier und da, eine leichtere Färbung geben, damit er sich angenehmer lesen läßt. Modern, moderner Stil ist, was die hohen Herren in der Metropole heutzutage gern mögen, Ihr versteht? Sogar ein Körnchen Humor kann man hineintun, wie man mir sagt – versteckt, wohlverstanden, gut versteckt! Werde nicht vergessen, Eure wertvolle Hilfe lobend zu erwähnen, versteht sich.« Indem er die Papierrolle in seinen weiten Ärmel versenkte, fragte er lebhaft: »Ach ja, wer hat denn nun die Blumenkönigin umgebracht? Den Kerl habt Ihr doch sicher eingelocht, beim Vorsteher, nicht?«
»Sobald Ihr meinen Bericht ganz gelesen habt«, antwortete Richter Di gleichmütig, »werdet Ihr wissen, daß die Blumenkönigin an einem Herzanfall gestorben ist.«
»Aber alle Welt redet davon, Ihr hättet Euch geweigert, den Befund des Leichenbeschauers zu bestätigen! Das Geheimnis des Roten Pavillons, so nennt man es. Großmächtiger Himmel, Di, das soll doch nicht etwa heißen, daß ich die Untersuchung fortzusetzen habe?«
»In der Tat hat es etwas von einem Geheimnis an sich. Aber mein Urteil über den Unfalltod wird weitgehend durch Beweise gestützt. Seid sicher, daß die höheren Behörden den Fall als abgeschlossen betrachten werden.«
Lo seufzte. Seine Erleichterung war offenbar.
»Nur etwas bleibt noch zu tun übrig«, fuhr Richter Di fort. »Unter den Papieren findet Ihr ein Geständnis des Kuriositätenhändlers Wen Yüan. Vor Gericht legte er falsches Zeugnis ab, außerdem hat er eine Kurtisane gefoltert. Er verdient die Auspeitschung, doch die würde er wahrscheinlich nicht überleben. Ich schlage vor, Ihr laßt ihn einen Tag lang am Pranger stehen mit einem Anschlag, der besagt, daß Wens Prügelstrafe aufgeschoben ist, doch nur solange, als keine neue Klage gegen ihn erhoben
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