Richter 07
jedes umlaufen von einem verdeckten Balkon aus geschnitztem Holz und geschützt durch dichtes Gitterwerk, alles vergoldet. Riesige, von zartbemalter Seide bedeckte Lampions hingen überall an den aufwärts gebogenen Dachtraufen. Er hatte wohl viel gehört vom erstaunlichen Reichtum, den man auf der Paradiesinsel zur Schau stellte, doch hatte er eine solche blendende Pracht nicht erwartet.
Ma Jung stieg die Treppe hinauf und setzte den Messingklopfer in heftige, rasselnde Bewegung. Nachdem er dem feierlichen Oberkellner die Ankunft des Amtmanns Di verkündet hatte, wartete er, bis der Richter hineingeleitet worden war; darauf sprang er die marmornen Stufen hinab und mischte sich unter die bunte Menge, die sich in der Straße drängte.
Drittes Kapitel
Richter Di sagte dem ihm entgegenkommenden Wirt, er sei zum Festmahl zu Ehren des Amtmanns Lo eingeladen. Nachdem der Mann einen tiefen Kotau ausgeführt hatte, führte er den Richter die breite, von einem dicken blauen Teppich belegte Freitreppe hinauf in einen großen Raum im zweiten Stockwerk.
Dort wehte dem Richter ein kühles Lüftchen als angenehmer Willkommensgruß entgegen, denn man hatte hier zwei mit Eisblöcken angefüllte Kupferkessel aufgestellt, die eine künstliche Kühle verbreiteten. In der Mitte des Raumes stand ein runder Eßtisch aus glänzend poliertem Schwarzholz, beladen mit reichen Porzellanplatten von kaltem Fleisch und Eingemachtem und dazwischengestellten silbernen Weinbechern. Sechs hochlehnige geschnitzte Ebenholzstühle mit Kühlung spendenden Sitzunterlagen aus Marmor säumten die Tafel. Unter dem Erkerfenster saßen an einem kleinen Tisch mit einer roten Marmorplatte vier Herren, die Tee tranken und Melonenkerne knabberten. Erstaunt blickten sie auf, als sie Richter Di eintreten sahen. Ein magerer älterer Mann mit einem langen, grauen Backenbart stand auf und ging dem Fremden entgegen. Höflich fragte er ihn:
»Wen wünscht Ihr zu sehen, Herr?«
»Seid Ihr Herr Feng Dai?« fragte Richter Di. Als der andere nickend bejaht hatte, zog er die Vollmacht des Amtmanns Lo aus seinem Ärmel und übergab sie ihm. Erklärend fügte er hinzu, daß Lo ihn gebeten habe, an seiner Stelle dem Festmahl beizuwohnen.
Sich tief verbeugend, reichte Feng Dai das Schriftstück zurück und sagte:
»Ich bin der Ortsvorsteher und stehe Euer Gnaden ganz zu Diensten. Erlaubt mir, Euch die anderen Gäste vorzustellen!«
Ein hagerer, ältlicher Mann mit einem Käppchen auf dem Kopf erwies sich als Wen Yüan, der reiche Kuriositätenhändler, dem alle Antiquitäten- und Souvenirbuden auf der Paradiesinsel gehörten. Er hatte ein längliches, hohlwangiges Gesicht, aus dem unter grauen, buschigen Augenbrauen ein Paar lebhaft beobachtende Augen hervorschauten. Er trug einen kurzen grauen Schnurrbart und einen spitzen, sorgfältig gepflegten Kinnbart. Der vornehm aussehende jüngere Herr, der neben dem Kuriositätenhändler saß, erwies sich als das Haupt der Weinhändlergilde, mit Namen Tau Pan-te. Und der hübsche Jüngling, der mit dem Rücken zum Fenster saß, wurde ihm als Kia Yu-po vorgestellt, ein Student, unterwegs nach der Hauptstadt, wo er sich den literarischen Examina unterziehen wollte. Stolz fügte Feng hinzu, daß sich der junge Mann bereits einen Namen als Poet gemacht habe.
Richter Di ging der Gedanke durch den Kopf, daß die Gesellschaft mehr zu versprechen schien, als er sich gedacht hatte. Mit einigen wenigen höflichen Phrasen übermittelte er den vier Männern die Entschuldigung des Amtmanns Lo. »Da ich zufällig an diesem Ort durchreiste«, schloß er, »beauftragte mich der Amtmann mit dem Abschluß des Falles vom Selbstmord des Akademikers, der sich vor drei Tagen zugetragen hatte. Nun bin ich natürlich ein Fremder hier. Daher wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr mir Eure Ansichten über diesen Fall zu erkennen gäbt.«
Diesen Worten folgte ein peinliches Schweigen. Endlich sprach Feng Dai in ernstem Ton:
»Der Selbstmord des Akademikers Li Liän bildete ein höchst bedauerliches Ereignis. Unglücklicherweise sind indessen solche Vorkommnisse hier nicht selten. Einige Besucher, die an den Spieltischen schwere Verluste erleiden, suchen auf diese Weise einen Ausweg aus ihren Sorgen.«
»Ich habe gehört, daß es sich in diesem Fall um unerwiderte Liebe als Beweggrund handelte«, gab Richter Di zu verstehen.
Feng warf einen schnellen Blick auf die drei anderen. Tau Pan-te und der junge Poet schauten beflissen in ihre Teeschalen. Der
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