Richter 07
nach Pu-yang und komme aus der Hauptstadt. Morgen wollte ich nach der Stadt Tschin-hwa reisen, um Euch einen Anstandsbesuch abzustatten und Euch für Eure Gastfreundschaft im letzten Jahr zu danken.«
»Nicht der Rede wert!« rief Lo. Über sein feistes Gesicht mit dem koketten kurzen Bärtchen legte sich ein breites Lächeln. »Es war eine hohe Ehre für meinen Bezirk, daß die beiden jungen Damen, die ich Euch zur Verfügung stellte, Euch bei der Entlarvung dieser schuftigen Mönche helfen konnten! Beim Himmel, Di, dieser Fall mit dem buddhistischen Tempel war in der Provinz in aller Leute Munde!«
»Zuviel der Ehre!« wehrte Richter Di mit einem schiefen Lächeln ab. »Die Buddhistenbande brachte es fertig, mich vor das hauptstädtische Gericht laden zu lassen, um dort eine Revision des Falles zu erreichen. Man stellte mir viele Fragen, aber am Ende war man befriedigt. Gehen wir ins Haus, dort will ich Euch bei einer Schale Tee alles im einzelnen erzählen.«
Lo trat rasch näher an ihn heran. Indem er seine mollige Hand auf des Richters Di Arm legte, sagte er in leisem, vertraulichem Ton zu ihm:
»Unmöglich, älterer Bruder! Eine höchst dringliche Sache macht meine sofortige Rückkehr in die Stadt erforderlich. Hört zu, Di, Ihr müßt mir helfen! Zwei Tage lang habe ich mich hier aufgehalten, um einen Selbstmord zu untersuchen. Ein ganz einfach gelagerter Fall; der Haken ist nur, daß es sich um einen jungen Mann handelt, der soeben als Erster die Palastexamina bestanden hat und zum Mitglied der Kaiserlichen Akademie ernannt wurde. Er versäumte sich hier, blieb an einer Frau hängen – kurz, die alte Geschichte. Der Junge heißt Li, Sohn des berühmten Zensors Dr. Li. Ich wurde nicht fertig mit dem Ausschreiben aller amtlichen Berichte. Tut mir den Gefallen, Di, und bleibt noch einen Tag hier, um die Sache für mich zu Ende zu bringen, wollt Ihr? Eine reine Routinesache! Ich muß wahrhaftig augenblicklich fort.«
Richter Di sagte es gar nicht zu, seinen Kollegen an einem Ort zu vertreten, der ihm völlig unbekannt war, doch konnte er auch nicht gut nein sagen. Er antwortete:
»Natürlich will ich Euch helfen, Lo, wo ich nur kann.«
»Herrlich! Nun, dann kann ich mich verabschieden!«
»Einen Augenblick!« sagte Richter Di schnell. »Ich habe keine Vollmacht für diesen Ort; Ihr müßt mich zum Beisitzer des Gerichts von Tschin-hwa ernennen.«
»Hiermit und ab sofort ernenne ich Euch!« erklärte Amtmann Lo großartig und kehrte sich seiner Sänfte zu.
»Ihr müßt das schriftlich geben, mein Freund!« sagte Richter Di mit einem nachsichtigen Lächeln. »Das verlangt das Gesetz!«
»Du lieber Himmel, noch mehr Zeitverlust!« rief Amtmann Lo verdrießlich aus. Mit schnellem Blick übersah er die Straße nach beiden Richtungen, zog dann Richter Di mit sich in die Eingangshalle der Herberge, wo er am Ladentisch ein Stück Papier und einen Pinsel ergriff. Plötzlich machte er eine Pause und murmelte ärgerlich:
»Heiliger Himmel, wie lautet nur die amtliche Formel?«
Richter Di nahm ihm den Pinsel aus der Hand und warf den Text schnell aufs Papier. Dann nahm er ein zweites Blatt und machte eine Abschrift. »Wir wollen unsere Siegel und Daumenabdrucke daruntersetzen«, sagte er, »dann ist alles in Ordnung mit uns. Ihr nehmt das Original an Euch und schickt es Eurem Vorgesetzten, dem Präfekten, mit der ersten Gelegenheit. Ich behalte die Abschrift.«
»Ihr beherrscht diese Dinge erstaunlich gut!« erklärte Amtmann Lo dankbar. »Ihr scheint mit den amtlichen Vorschriften unter Eurem Kopfkissen zu schlafen, so kommt mir’s vor!«
Während Lo sein Siegel unter die Papiere setzte, fragte Richter Di:
»Wer verwaltet diese Insel?«
»Ja so«, antwortete Lo leichthin, »ein Kerl namens Feng Dai oder Tai, er ist der Vorsteher des Vergnügungsortes. Ein wunderbarer Mann, der alles bis ins kleinste weiß, was hier vorgeht. Sämtliche Spielsäle gehören ihm, und die Bordelle obendrein. Er wird Euch alles sagen, was für Euch nötig ist. Schickt mir den Bericht, sobald Ihr durchgestiegen seid und Zeit dazu habt!« Beim Hinausgehen fügte er hinzu: »Vielen Dank, Di, ich erkenne das hoch an!« Er war im Begriff, seine Sänfte zu besteigen, als er bemerkte, wie ein Polizist einen großen Lampion anzündete, der die Inschrift »Der Amtmann von Tschin-hwa« in roten Lettern trug. »Mach das Licht aus, du Dummkopf«, schrie Lo ihn an. Und zu Richter Di gewandt, sagte er: »Ich mag mir nicht gern ein Ansehen
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