Rimbaud und die Dinge des Herzens: Roman (German Edition)
Rose mit für Joséphine, sie wachsen an der Veranda.«
»Mach ich. Gute Nacht!«
Ich verließ das Zimmer, blieb aber noch kurz im Flur stehen, um Monsieur Roland und seiner Frau zuzusehen.
Er streichelte ihr die Wange und gab ihr viele Küsschen auf die Stirn.
Als ich die beiden so sah, musste ich an meine Mutter denken und daran, wie sie mich abends ins Bett brachte. Ich bekomme auch immer ein paar Streicheleinheiten.Früher erzählte mir meine Mutter außerdem noch eine Geschichte. Es waren Geschichten, die sie in Mali gehört hatte, als sie klein war, und die sie etwas abänderte, damit sie in unsere Cité passten. Meistens handelten sie von einem kleinen Jungen, der seine Familie vor einem grausamen Mann beschützen musste.
Als ich älter wurde, haben wir darüber geredet, was wir erlebt hatten oder was am nächsten Tag anstand, oder über den Film, den wir am darauffolgenden Samstag anschauen wollten. Meine Mutter hatte nämlich im Fernsehen gehört, dass man seinen Kindern etwas Positives vor dem Einschlafen erzählen soll, und dann noch mal beim Aufwecken. Den Mann könnte ich heute noch umarmen, denn selbst wenn ich etwas angestellt habe und meine Mutter mir den ganzen Tag böse ist, weiß ich, dass sie mir am Abend etwas Schönes erzählen wird.
Und es stimmt übrigens, dass es immer etwas Schönes gibt, das einen am nächsten Tag erwartet.
Monsieur Roland kam aus dem Zimmer und zog leise die Tür hinter sich zu.
»Komm, Charly …«
Wir gingen zurück ins Wohnzimmer. Er setzte sich in seinen Sessel, und ich nahm wieder ihm gegenüber Platz.
»Ist es nicht schon zu spät, um zurückzufahren?«
»Och, machen Sie sich keine Sorgen, die Bahnen fahren noch bis Mitternacht.«
»Es ist gut, wenn man sich durchschlagen kann, obwohl man noch klein ist – je früher, desto besser.«
»Mussten Sie sich auch durchschlagen, als Sie so alt waren wie ich, Monsieur Roland?«
»Damals war Krieg … Paris war besetzt … Man musste schon ganz schön auf Draht sein damals …«
»Und kannten Sie Madame Roland schon?«
»Nein, aber ich habe sie bald danach kennengelernt.«
»Wie alt waren Sie da?«
»Damals war ich sechzehn. Das ist jetzt achtundfünfzig Jahre her.«
Ich versuchte mir auszurechnen, wie alt er jetzt war, aber wir waren mitten in einem Gespräch, und daher war das gar nicht so einfach.
»Und haben Sie sie sofort geliebt?«
»O ja! Sie kam vom Land, ihre Tante wohnte bei uns im Haus, und sie verbrachte ihre Ferien bei ihr und ihren beiden Cousinen … Das Problem war nur, dass ihre Cousinen mich nicht besonders mochten …«
»Weshalb?«
»Weil … ich ein kleines Abenteuer mit ihnen gehabt hatte.«
»Mit beiden?«
»Ganz genau.«
»O Mann, Sie haben ja nichts anbrennen lassen, Monsieur Roland!«
»Aber ich schwöre dir, als ich Sonia gesehen hatte, war ich nicht mehr derselbe!«
»Ach, das verstehe ich.«
Monsieur Roland ergriff meine Hand.
»Weißt du, Charly, man muss lieben … Im Leben muss man lieben, und zwar sehr. Man darf niemals Angst haben, zu sehr zu lieben. Das ist wahrer Mut! Sei niemals egoistisch, was dein Herz angeht. Wenn es voller Liebe ist, dann zeig das auch. Lass dein Herz aus dir heraus und zeig es aller Welt … Es gibt nicht genügend mutige Herzen … Es gibt nicht genügend Herzen, die ganz nach außen gekehrt sind. Ich rede hier von deinem persönlichen Glück … Damit dein Leben schön wird, musst du so stark wie möglich lieben. Und habe niemals Angst zu leiden. Verachte diejenigen, die dich warnen wollen. Sie werden weniger glücklich sein als du. Diejenigen, die den Schmerz fürchten, glauben nicht an das Leben … Wenn du jedoch einem liebenden Herzen begegnest, folge ihm, mach es zu deinem Freund, lerne von seinem Beispiel, damit dein eigenes erfüllt wird! Verstehst du, Charly … Was auch geschieht, sieh zu, dass dein Herz immer voll ist. Pass auf dein Herz auf …«
»Mach ich, Monsieur Roland.«
Er stand auf.
»Du solltest jetzt besser nach Hause gehen.«
»Ja, stimmt, ich muss dann mal los.«
Ich stand ebenfalls auf.
»Nimm deiner Mutter eine Rose von der Veranda mit. Ich warte in der Diele, um hinter dir abzuschließen.«
Ich trat auf die Veranda, da blühten mindestens fünftausend Rosen, in allen Farben.
Ich suchte diejenige aus, die am rötesten war.
Dann ging ich in die Diele, wo Monsieur Roland wartete, im ganzen Haus brannte nur noch hier das Licht.
»Auf Wiedersehen, Charly.«
»Auf Wiedersehen, Monsieur Roland.«
»Sag
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