Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
unter dem Pseudonym Caspar Cabul an der Aufführung teilnahm, inzwischen in Berlin angekommen war – ohne ihn lief am Forum-Theater nichts mehr.
07 Drehorgelwalzenwelthit
Wer gedacht hatte, das Beat-Oper-Debakel hätte die Brüder Möbius aller Möglichkeiten beraubt, rieb sich schon bald verwundert die Augen. Die UFA gab bei ihnen ein Exposé für ein TV-Musical in Auftrag, das im Berliner Milieu spielen »und mit Beatmusik zu tun haben« sollte. Und Peter Meisel von Hansa Musik überlegte sogar, die Beat-Oper als LP herauszubringen, und bestellte bei Rio »was mit Clown oder Underground«. Die Demos, die er mit der ehemaligen Band von Drafi Deutscher aufnahm, der in Ungnade gefallen war, weil er sich nackt am Fenster seiner Wohnung gezeigt hatte, blieben allerdings unveröffentlicht.
Keine Idee schien damals, 1968, verrückt genug zu sein, um nicht realisiert zu werden, und so gründeten die Möbiusse zusammen mit Dietmar Roberg Hoffmanns Comic Teater (HCT). Den Namen erklärte Rio in seinen Memoiren damit, dass »Hoffmann« an E.T.A. Hoffmann und Dr. Hoffmann, den Erfinder des »Struwwelpeter«, erinnere und darin auch der Begriff Hoffnung stecke, dass »Comic« sich auf Komik, Commedia dell’arte und Comic-Hefte beziehe und »Teater« ohne »h« als Reverenz an die Nürnberger Theater-Experimente gemeint war. Außerdem habe man mit dem Namen »Hoffmanns Comic Teater« Jahrmarkt und Zirkus assoziieren sollen, als Alternative zum »verbeamteten Schauspieler-Stadt-Theater«.
Das erste Projekt von Hoffmanns Comic Teater war die Sumpf-Oper Okkollo , die im Mai’68 im Audimax der TU Berlin Premiere hatte. Die Bilder und akustischen Reize trafen ins Unterbewusste und wirkten geradezu magisch. Requisiten, Masken und Kostüme verschmolzen im ultravioletten Bühnenlicht mit den ritualisierten Bewegungen und Gesten der Darsteller zu einem künstlerischen Drogencocktail par excellence. Und Rio spielte dazu Klavier und sang die Stimmen zu allen Figuren.
Gleich die erste Produktion des neu gegründeten Theaters war also ein Erfolg und musste mehrmals wiederholt werden, erst im stets ausverkauften Audimax, dann im Forum-Theater.
Inzwischen hatten die UFA und das ZDF auch den Drehorgelwalzenwelthit abgenickt, der hausintern zur Chefsache erklärt worden war, weil man meinte, etwas für die Jugend tun zu müssen. Unter der Aufsicht eines Dr. Alfred Biolek wirkte die Schlagersängerin Dunja Raiter mit, es spielten und sangen die Comedians von Insterburg & Co. und die Berliner Soul-Band The Hounddogs (deren Bassist Happy-Dieter bald zum harten Kern der umherschweifenden Haschrebellen gehörte) die von Peter Möbius getextete und von Rio komponierte Geschichte eines Drehorgelwalzenbauers, der seiner Tochter eine Walze vererbt, auf der sich der Welthit schlechthin befindet. Daraufhin buhlt so ziemlich jeder um die Gunst der Tochter, die jedoch nichts von ihrem Glück ahnt und sich ausgerechnet in einen armen Schlucker verliebt, der in einer Beatband spielt. Angeblich basierte die Story auf ihren Erfahrungen mit David Garricks Management während der Beat-Oper. Rio zufolge war sie ein ähnliches künstlerisches Fiasko wie Robinson 2000 , nur kostete sie ihnen kein Geld, sondern brachte ihnen dank Ilse Werner, die die Produktion im Auftrag des ZDF abhörte und dem begabten jungen Komponisten zu seinen wunderbaren Liedern gratulierte, welches ein.
Unter dem Titel Beat aus dem Leierkasten – eine Band sucht einen Hit lief das Fernsehmusical im ZDF. Als Edgar Froese von der damals noch relativ unbekannten Elektronik-Band Tangerine Dream die Musik dazu hörte, gab er Rio einen entscheidenden Tipp: »Du wirst bestimmt irgendwann gute Musik machen, aber vorher solltest du mal Haschisch rauchen.« Bei Kerzenschein und zur Musik von Vanilla Fudge war es kurz darauf so weit: »Es war, als würde ein Fenster geöffnet oder ein Schleier weggezogen. Auf einmal sah ich ganz klar den Irrsinn der Welt.« Ein paar Jahre später schrieb er, nachdem er einen Joint geraucht hatte, für die Berliner Anarcho-Zeitung 883 ein hochpolitisches Manifest: »Musik ist eine Waffe.«
Nach dem künstlerischen ( Okkollo ) und finanziellen Erfolg ( Drehorgelwalzenwelthit ) verfassten Gert und Ralph Möbius daraufhin das Stück Rita & Paul , eine Liebesgeschichte im Stil von Courths-Mahler, in der sich eine Fabrikantentochter in einen Arbeitersohn verliebt. Jede Szene sollte anschließend noch einmal in einem Song abgehandelt werden, weil Rio weg wollte von
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