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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Nemours zum sonntäglichen Mittagessen fahren. »Die wollen mich bis mindestens drei Uhr dabehalten, das weiß ich«, sagte Jonathan. »Wegen der Tests, du weißt schon.« Sie kannte das: Wahrscheinlich würden sie eine weitere Knochenmarkprobe entnehmen, was nur zehn oder fünfzehn Minuten dauerte, doch dann blieben noch weitere Tests, die Urinuntersuchung, die Milzpalpation. Jonathan ging es nach wie vor nicht gut, und er wußte nicht, was noch kommen würde. Simones Härte verunsicherte ihn zusätzlich.
    »Ich verstehe das nicht, Jon. Ich verstehe das einfach nicht«, sagte sie. »Warum triffst du dich mit diesem Ungeheuer?«
    Tom war eigentlich kein Ungeheuer. Aber wie sollte er ihr das klarmachen? Er versuchte es noch einmal: »Diese Männer gestern abend, das waren Killer, verstehst du? Die hatten Pistolen und Garrotten dabei. Tu comprends, des garrottes. Sie haben Toms Haus überfallen.«
    »Und warum warst du da?«
    Die Ausrede mit den Bildern, die Tom gerahmt haben wollte, konnte er vergessen. Nur für ein paar Aufträge würde er Tom wohl kaum helfen, Leute umzubringen und Leichen wegzuschaffen. Außerdem, welchen Gefallen hätte Tom ihm tun sollen, um ihn so hilfsbereit zu stimmen? Jonathan schloß die Augen, riß sich zusammen und versuchte, klar zu denken.
    »Madame…« Die Schwester.
    [327]  Sie sagte Simone, ihr Mann brauche jetzt Ruhe. »Ich verspreche dir, Simone, ich werde alles erklären.«
    Simone war aufgestanden. »Ich glaube, das kannst du gar nicht. Ich glaube, du hast Angst. Dieser Mann hat dich in der Falle gefangen, und zwar mit Geld. Er bezahlt dich. Aber wofür? Ja, sollst denn auch du für mich ein Verbrecher sein, so wie dieses Ungeheuer?«
    Die Krankenschwester war gegangen, sie konnte sie nicht hören. Mit halbgeschlossenen Augen sah Jonathan seine Frau an, verzweifelt, sprachlos und, fürs erste zumindest, besiegt. Würde er sie je überzeugen können, daß die Dinge nicht so schwarz und weiß waren, wie sie dachte? Jonathan spürte den kalten Hauch der Furcht, die Ahnung des Scheiterns, des Todes.
    Und jetzt verließ ihn Simone, als sei das letzte Wort gesprochen – ihr Wort, ihre Meinung. In der Tür drehte sie sich um und warf ihm eine Kußhand zu, doch eher gedankenlos, so wie ein Kirchgänger, der vor einer Statue automatisch kurz das Knie beugt. Dann war sie verschwunden. Der Tag lag vor ihm wie ein böser Traum. Womöglich mußte er über Nacht im Krankenhaus bleiben. Er schloß die Augen und warf den Kopf hin und her.
    Um ein Uhr mittags waren die Untersuchungen fast beendet.
    » M’sieur, Sie standen in letzter Zeit ziemlich unter Druck, nicht wahr?« fragte ein junger Arzt. »Irgendwelche außergewöhnlichen Belastungen?« Er lachte. »Ein Umzug vielleicht? Zuviel Gartenarbeit?«
    Jonathan lächelte höflich. Es ging ihm ein bißchen besser. Plötzlich mußte auch er lachen, aber nicht über die Worte [328]  des Arztes. Was, wenn der morgendliche Zusammenbruch der Anfang vom Ende gewesen war? Jonathan war stolz auf sich, weil er das hier durchgestanden hatte, ohne den Kopf zu verlieren. Vielleicht gelang ihm das auch, wenn es eines Tages ernst wurde. Zum letzten Test, der Milzpalpation, schickten sie ihn den Flur hinunter.
    »Monsieur Trevanny? Ein Anruf für Sie«, sagte eine Schwester. »Da Sie gerade hier sind…« Sie deutete auf einen Schreibtisch mit einem Telefon. Der Hörer lag neben dem Apparat.
    Sicher war es Tom.
    »Hallo?«
    »Jonathan, hier ist Tom. Wie geht’s denn?… Kann ja nicht so schlimm sein, wenn du schon wieder auf den Beinen bist… Wie schön.« Tom klang ehrlich erfreut.
    »Simone war hier. Vielen Dank«, sagte Jonathan. »Aber sie ist…« Sie sprachen englisch, dennoch fand er kaum Worte.
    »Die letzte Zeit war nicht leicht für dich, das verstehe ich.« Eine Platitüde. Tom hörte die Angst in Jonathans Stimme. »Ich habe heute morgen getan, was ich konnte, aber willst du… Soll ich es noch einmal versuchen?«
    Jonathan fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Ich weiß nicht. Es ist ja nicht so, als hätte sie –« Er wollte sagen: »mit irgendwas gedroht«, etwa ihn zu verlassen und Georges mitzunehmen. »Ich weiß nicht, ob du überhaupt etwas ausrichten kannst. Sie ist so…«
    Tom verstand. »Laß es mich versuchen, ja? Ich mache das. Kopf hoch, Jonathan! Du kommst heute nach Hause?«
    [329]  »Weiß ich nicht. Glaube schon. Übrigens, Simone ist heute zum Mittagessen bei ihrer Familie in Nemours.«
    Tom sagte, er

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