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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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pfiff ein neapolitanisches Liedchen. Es ging ihm glänzend, er war überhaupt nicht müde, brauchte nicht einmal eine Zigarette. Wenige Freuden des Lebens reichten an das Vergnügen heran, Männer der Mafia zu beseitigen. Aber…
    »Aber…«, begann Tom gut gelaunt.
    »Aber was?«
    »Es nützt so wenig, zwei von den Kerlen umzubringen. Das ist wie zwei Kakerlaken tottreten, wenn das ganze Haus von ihnen wimmelt. Trotzdem glaube ich, es ist die Mühe wert, und vor allem ist es doch schön, wenn die Mafia ab und zu sieht, daß jemand ihr schaden kann. In diesem Fall werden sie allerdings annehmen, eine andere Familie habe Lippo und Angi erledigt. Hoffentlich jedenfalls.«
    Jonathan, inzwischen todmüde, kämpfte mit dem Schlaf. Er zwang sich, gerade zu sitzen, und grub die Fingernägel in die Handflächen. Mein Gott, es würde noch Stunden dauern, bis er zu Hause war – bei Tom oder bei Simone. Tom wirkte putzmunter, er trällerte jetzt das italienische Lied, das er vorher gepfiffen hatte:
    Babbo non vuole, Mamma nemmeno
    Como faremo per far’ l’amor?
    [317]  Dann geriet er ins Plaudern, erzählte von seiner Frau, die mit ein paar Freunden in einem Schweizer Chalet Urlaub machen wollte. Halbwegs wach wurde Jonathan erst, als Tom sagte: »Lehn dich zurück, Jon. Brauchst nicht wach zu bleiben. Ich hoffe, es geht dir gut?«
    Er konnte nicht sagen, wie es ihm ging. Ein bißchen schwach fühlte er sich, aber das kannte er ja. Und er hatte Angst, daran zu denken, was gerade geschehen war, was noch geschah, an Fleisch und Knochen, die verbrannten und noch Stunden später schwelen würden. Trauer überkam ihn auf einmal, als verdüstere sich alles um ihn. Am liebsten hätte er die letzten Stunden aus seinem Gedächtnis gestrichen. Doch er war dabeigewesen, hatte geholfen, hatte getötet. Er lehnte sich zurück und döste vor sich hin. Tom redete gutgelaunt weiter vor sich hin, als unterhalte er sich mit jemandem, der ab und zu Antwort gab. Jonathan hatte Tom noch nie in solcher Hochstimmung erlebt. Was sollte er Simone sagen? Ihm wurde ganz schwach, wenn er nur daran dachte.
    »Ich meine Messen, die auf englisch gesungen werden«, sagte Tom. »Die finde ich einfach nur peinlich. Irgendwie halten wir uns in England und Amerika doch zugute, daß wir meinen, was wir sagen. Aber bei einer Messe auf englisch… Entweder hat der Chor den Verstand verloren, denkt man dann, oder er ist eine Bande von Lügnern. Hab ich recht? Sir John Stainer…«
    Jonathan wachte auf, als der Wagen hielt. Tom war rechts herangefahren, er trank Kaffee aus dem Becher der Thermosflasche. Lächelnd bot er auch ihm etwas an. Jonathan trank ein paar Schluck, dann fuhren sie weiter.
    [318]  Im Morgengrauen kamen sie durch ein Dorf, in dem er noch nie gewesen war. Das Licht hatte ihn geweckt.
    »In zwanzig Minuten sind wir zu Hause!« verkündete Tom fröhlich.
    Jonathan murmelte etwas und schloß wieder die Augen. Nun redete Tom über das Cembalo, über sein Cembalo. »Bei Bach finde ich, man wird sofort wieder Mensch. Nur ein paar Takte, und schon…«

[319]  21
    Jonathan schlug die Augen auf. Hatte er wirklich ein Cembalo gehört? Ja, das war kein Traum. Er hatte gar nicht richtig geschlafen. Die Musik kam von unten, brach ab, begann wieder. Vielleicht eine Sarabande. Müde hob Jonathan den Arm und sah auf seine Uhr: 8   :   38. Was mochte Simone jetzt tun? Was mochte sie denken?
    Willenlos vor Erschöpfung sank Jonathan tiefer in das Kissen zurück. Auf Toms Drängen hatte er warm geduscht und war in einen seiner Pyjamas geschlüpft. Tom hatte ihm auch eine ungebrauchte Zahnbürste gegeben und gesagt: »Schlaf erst mal ein paar Stunden. Es ist viel zu früh.« Das war gegen sieben Uhr morgens gewesen. Er mußte jetzt aufstehen. Da war Simone, er mußte etwas tun, mußte mit ihr reden. Statt dessen lag er schlaff da und lauschte dem Cembalo.
    Tom spielte gerade die Unterstimme. Es klang ganz richtig – die tiefsten Töne, die ein Cembalo hervorbringen konnte. Wie er gesagt hatte, »man wird sofort wieder Mensch«. Jonathan zwang sich aufzustehen: Er kroch unter den blaßblauen Laken und der dunkelblauen Wolldecke hervor, stand schwankend auf, hielt sich mühsam gerade und wankte zur Tür. Barfuß ging er die Treppe hinunter.
    Tom hatte eine Partitur vor sich und spielte vom Blatt. [320]  Die Oberstimme kam hinzu, und durch den Spalt zwischen den Vorhängen vor der Flügeltür fiel ein Sonnenstrahl auf Toms linke Schulter. Das Muster seines

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