Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Ihrem Befund kann Ihnen kein Arzt völlige Sicherheit geben. Ich möchte nicht, daß Sie denken, ich hätte Ihnen auf Jahre beste Gesundheit garantiert, Unverwundbarkeit sozusagen. Sie wissen selber –«
»O nein, so hab ich das gar nicht verstanden!« fiel Jonathan ihm ins Wort.
»Dann wäre das ja geklärt.« Dr. Perrier lächelte und verschwand in der Bank.
Jonathan trottete weiter auf der Suche nach seinem Saugstopfen. Der Abfluß in der Küche war verstopft, nicht die Toilette, fiel ihm jetzt ein, und Simone hatte ihr Gerät schon vor Monaten einem Nachbarn geliehen und… Dann dachte er daran, was Dr. Perrier gesagt hatte: Wußte der Doktor etwa doch etwas? Hegte er nach dem letzten Test einen Verdacht, der noch zu vage war, um ihn zu erwähnen?
An der Tür zur Drogerie stand Jonathan vor einem dunkelhaarigen Mädchen, das gerade abschloß und die äußere Türklinke abnahm.
»Tut mir leid, Monsieur, es ist fünf nach zwölf«, sagte sie lächelnd.
[41] 3
In der letzten Märzwoche arbeitete Tom an einem lebensgroßen Porträt von Héloïse, das sie ausgestreckt auf dem gelben Satinsofa zeigte. Héloïse war nur selten bereit, Modell zu sitzen. Doch wenigstens das Sofa hielt still, und Tom hatte es zu seiner Zufriedenheit auf die Leinwand gebannt. Außerdem hatte er sieben oder acht Skizzen von Héloïse angefertigt, den Kopf auf die linke Hand gestützt, die Rechte auf einen großen Bildband gelegt. Die beiden besten behielt er, den Rest warf er weg.
Reeves Minot hatte in einem Brief angefragt, ob Tom schon etwas eingefallen sei, das ihm weiterhelfen könne – ein Name, meinte Reeves. Einige Tage zuvor hatte Tom mit Gauthier gesprochen, bei dem er gewöhnlich seine Farben kaufte. Tom hatte Reeves zurückgeschrieben: »Werde darüber nachdenken, doch falls Ihnen in der Zwischenzeit etwas einfällt, sollten Sie Ihre eigene Idee weiterverfolgen.« Das »werde darüber nachdenken« war nur eine Höflichkeitsfloskel, die nicht einmal stimmte, eine der vielen Phrasen zum Ölen des Räderwerks gesellschaftlichen Miteinanders, wie Emily Post gesagt hätte. Nicht daß Minots Geld Belle Ombres Räder ölte; seine Zahlungen an Tom für dessen gelegentliche Dienste als Mittelsmann und Hehler deckten kaum die Kosten für die chemische Reinigung. [42] Aber es konnte nie schaden, Freundschaften zu pflegen. Der Mann hatte Tom einst einen gefälschten Paß besorgt und schnell nach Paris geschickt, als Tom zur Verteidigung von Derwatt Ltd. unter falschem Namen reisen mußte. Eines Tages könnte er Minot erneut brauchen.
Dagegen war die Sache mit Jonathan Trevanny für Tom nur ein Spiel. Mit Minots Glücksspielgeschäften hatte das für ihn nichts zu tun. Tom war Glücksspiel zuwider, er hielt nichts von Leuten, die davon lebten, und sei es nur zum Teil. Es roch nach Zuhälterei. Tom hatte das Spiel mit Trevanny begonnen, weil er neugierig war, weil Trevanny ihn einmal verhöhnt hatte – und weil er sehen wollte, ob sein ungezielter Pfeil das Ziel finden und Jonathan Trevanny, in seinen Augen ein selbstgerechter Spießer, für eine Weile verunsichern könnte. Danach durfte dann Reeves seinen Köder auswerfen, natürlich nicht ohne Trevanny einzubleuen, er müsse sowieso bald sterben. Tom glaubte nicht, daß der Mann anbeißen würde, aber auf jeden Fall hatte er eine ungemütliche Zeit vor sich. Leider konnte Tom nicht abschätzen, wann das Gerücht Jonathan Trevanny zu Ohren kommen würde. Gauthier tratschte ganz gerne, doch es war immerhin denkbar, daß er es zwei, drei Leuten erzählte, aber keiner von ihnen den Mut fand, das Thema Trevanny gegenüber anzusprechen.
Und so zählte Tom Wochen später noch immer die Tage – obwohl er wie immer genug zu tun hatte, mit seiner Malerei, dem Setzen der Frühjahrsknollen und seiner Lektüre deutscher und französischer Literatur (zur Zeit Schiller und Molière), dazu der Aufsicht über drei Arbeiter, die hinter dem Haus, rechts vom Rasen, ein Gewächshaus [43] hochzogen – und stellte sich vor, was alles nach jenem Nachmittag mitten im März hätte geschehen können, als er zu Gauthier gesagt hatte, Trevanny bleibe nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt. Daß Gauthier damit direkt zu Trevanny ging, war eher unwahrscheinlich, es sei denn, die beiden standen sich näher als vermutet. Eher würde Gauthier jemand anders davon erzählen. Dabei vertraute Tom auf die Tatsache, daß der möglicherweise unmittelbar bevorstehende Tod eines anderen Menschen jedermann
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