Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
ungefähr in der gleichen Gegend, nach der Kristiansborgsallee zu. Wir waren unzertrennlich. Wenn zwei von uns einen Film gesehen hatten, gingen wir ihn uns in Begleitung des dritten noch einmal ansehen, denn es reichte nicht, daß alle ihn gesehen hatten, alle mußten ihn zusammen gesehen haben, damit wir richtig darüber diskutieren konnten. Wir pflegten uns in der Bomansgatan Ecke Kristiansborgsallee, neben unseren Rädern stehend, zu unterhalten, oder halb auf unseren Rädern sitzend, weil das natürlich auch flotter aussah, und vereinzelte Autofahrer zu verhöhnen, die die Kurve zu nehmen versuchten und uns wütend anhupten. Dieses Reden an der Straßenecke hatte etwas Rituelles an sich. Es war nicht irgendein Gerede, es war DAS SPRECHEN , die Kommunikation zwischen Menschen, so etwas wie Mütterlichkeit, Wärme und Wiege.
Es war in der Krisenzeit, große Holzstapel türmten sich zwischen den Häusern. Per Albin Hansson war Ministerpräsident. Der Ombudsmann für Wohnungsfragen, Alwestrand, war der erste in unserer Straße, der sich nach dem Krieg ein Auto zulegte. Ich weiß noch, wie wir bewundernd im Kreis herumstanden und zuguckten, als er es startete. Das würde heute kein Kind mehr tun.
Wir machten zusammen die Pubertät durch, die sich bei mir zuerst so äußerte, daß ich, nachdem ich für ungewöhnlich träge, schlapp und schläfrig gehalten worden war, plötzlich zum besten Schüler der ganzen Realschule wurde, ich wachte gleichsam auf. Das nächste, was passierte – in jenen Jahren passierten ununterbrochen seltsame Dinge
(aber das ist doch heute noch genauso, sagte das Mädchen, als sie da den Weg entlangtanzte)
war, daß Bertil wahnsinnig musikalisch wurde. Er brauchte nicht länger als einen Winter, um das gesamte klassische Repertoire durchzuhören, auf einem Grammophon mit diesen Kaktusnadeln, von denen ich schon erzählt habe. Sie gingen bei jedem Fortissimo kaputt. Ein vierter Junge, P., der übrigens physikalisch sehr begabt war – er wäre viel später fast zu Karl xii. herangezogen worden, also zum Plan für eine schwedische Atomwaffe, machte aber in letzter Sekunde einen Rückzieher und wurde im Laufe der Zeit Lehrer für Barocklaute in der Akademie –, baute uns einen Verstärker aus Teilen, die er in Kellern und auf Müllhaufen fand. P. ist mir als dick, schwerfällig, lustig in Erinnerung.
Damals pflegten wir an den Frühlingsabenden nach Björnön zu radeln, unterwegs über Musik zu diskutieren und Brahmssinfonien aufzuführen, indem wir die Melodien auf die Lenkstangen klopften und die Klingeln betätigten. Es muß einen merkwürdigen Eindruck auf die Leute gemacht haben, denen wir begegneten.
Dabei brausten ganze Sinfonieorchester in uns.
Es ist ja irgendwie sonderbar mit den Toten. Man glaubt ja nicht an ein Leben nach diesem; ich tue es zumindest nicht, aber sie leben trotzdem.
In der KBU hatte ich ein Sofa, es war ein richtiges Chefsofa, auf dem man sich manchmal zwischen den Entscheidungen ausruhen oder seine Sekretärin verführen sollte, oder weiß der Himmel was, ein richtiges Chefsofa, das ich fast nie benutzte. Aber einmal, gerade als die KBU-Affäre sich ernstlich zusammenbraute und ich gerade beim Racketballspielen gewesen war
(ja, um ehrlich zu sein, ich bin noch ein paarmal zum Spielen dagewesen, es hat mir wirklich Spaß gemacht, ich habe diese Möglichkeit im letzten Winter vermißt, es ist das unterhaltsamste und beste Konditionsspiel, auf das ich je gestoßen bin)
ich hatte ziemlich hart gespielt und kam kurz vor vier ins Büro in Stocksund zurück, vor allem um Briefe zu unterschreiben und zu hören, ob jemand angerufen hatte. Es war so eine Ruhe mitten im Sturm, kein Mensch hatte angerufen, der Sturm tobte ganz fürchterlich, aber er tobte um mich herum, für alle Beteiligten war es verdammt wichtig, so wenig wie möglich mit mir zu tun zu haben, vor allem weil sie allmählich argwöhnten, daß ich so etwas wie einen VERZWEIFELTEN AUSFALL machen würde, und das habe ich ja zwei Tage später auch tatsächlich getan, als ich in einem Interview in den Fernsehnachrichten »auftrat«, wie es heißt, zum Ministerpräsidenten sagte, daß er lüge, und alle Papiere vor der Nase der Zuschauer auf den Tisch legte,
EIN KLASSIKER SEINER ZEIT
denn das habe ich ja wirklich gemacht, aber jetzt, also zwei Tage vor dem Sturm, als ich von einem dieser Racketballspiele zurückkam und feststellte, daß es keinen einzigen Anruf gegeben hatte, keinen einzigen Brief zu
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