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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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begann der Tag mit einer Schußwunde« und, zu meiner aufrichtigen Verblüffung, mein eigenes verzweifeltes kleines Buch, mein frostklirrender, unwirklicher, düsterer Roman
    »Der eigentliche Bericht über Herrn Arenander«,
    den sie mit leicht gerunzelter Stirn und mit jenem nachdenklich prüfenden Gesichtsausdruck betrachtete, wie man ihn oft bei jemand antrifft, der unvorbereitet ein Stück aus einem arabischen Prosatext lesen soll. Sie nieste kurz, als hätte ein winziges Staubkorn zwischen den kleinen Seiten des Buches ihre sensible Nase irritiert, und dann verschwand »Der eigentliche Bericht über Herrn Arenander« wieder in der Basttasche. Darauf vertiefte sie sich in Wondratscheks avancierte, labyrinthische Prosa.
    Und ich, der ich meinen jüngeren Kollegen niemals getroffen, nicht einmal etwas von ihm gelesen habe, Wolf Wondratschek, geboren 1943 in Rudolstadt/Thüringen, z.Zt. wohnhaft in Frankfurt am Main, das wir eben in Finsternis und Verzweiflung hinter uns gelassen hatten, Verfasser mehrerer Stereohörspiele und 1968 mit dem »Leonce und Lena-Preis« ausgezeichnet für sein Gedicht
    »Als Alfred Jarry merkte, daß seine Mutter eine Jungfrau war, bestieg er sein Fahrrad«
    Ich hätte diesen Wolf Wondratschek töten, auslöschen, vernichten und seine Buchstaben ins Meer streuen können.
    Was hat Wolf Wondratschek mir voraus?
    Und ich war wieder daheim in der kalten Nacht meiner Verzweiflung, daheim in meiner Melancholie, meiner Sinnlosigkeit, meiner Trauer.
    Wir durchflogen nun auf 2000 Meter Höhe eine gewaltige Wolkendecke, und bald breitete sich unter uns, mit Hunderttausenden von Lichtern illuminiert, das furchtbar erfahrene, das kluge, das schizophrene Berlin aus.
    Vor meinen müden, starren Augen glitt nun der schwere Kopf der lesenden Dame mit seiner roten Haarmähne vorbei, ihre mächtige Denkerstirn, ihre großen, geheimnisvollen Ohren, verborgen unter den schweren Haargardinen: sie lehnte sich über mein Knie hinweg, um die Stadt unter sich durch das Fenster in Besitz zu nehmen. Meine Nase streifte ihr Haar mit seinem milden Duft nach Moschus, nach Moschusochse, und beim Anblick der Stadt unter uns sagte sie zum zweiten Mal
    – Ah!
    Beide beugten wir uns mit derselben Bewegung zum Fenster vor. Vollkommen glücklich betrachteten wir die Stadt unter uns. Gewaltige, breite Straßen glitten vorbei, Rauch stieg aus den Schornsteinen auf, die Kirchtürme trugen kleine Kränze aus roten Warnlichtern.
    Es war plötzlich Nacht geworden und sternklar. Mit zurückgenommener Schubkraft glitt die Maschine über die letzten Dächer auf Tempelhof zu, und plötzlich fiel mir ein, daß wir noch kein einziges Wort gewechselt hatten, daß sie nichts gesagt hatte außer zweimal dieses tiefe »ah«.
    Fieberhaft suchte ich nach einem Satz, nach einem Anhaltspunkt. Müde, unglücklich sah ich die Lichter der Landebahn unter uns herangleiten, spürte, wie die Räder aufsetzten, sah die Markierungslichter unter uns verschwinden, jedes gleich einem vertanen Tag, fühlte alle Kräfte verebben und alle Möglichkeiten schwinden und dann wieder die aufsetzenden Räder.
    Homunculus in seiner Flasche. Rings um mich her liegt Berlin. Und in seiner großen einsamen Villa in Friedenau wartet mein Freund E. auf eine Nachricht von mir.
    Die Passagiere stehen auf, Wollmäntel fegen mir über die Nase, sie hebt ihre geflochtene Tasche auf und geht, ich bleibe noch sitzen und lasse ihr höflich Platz, damit sie ihren duffelcoatartigen Mantel anziehen kann. Und in dem Augenblick, als sie auf den Ausgang zugeht, dreht sie sich zu mir um und sagt mit warmer, lebhafter Stimme, als glaubte sie daran:
    – Auf Wiedersehen!
    Kleiner Stachel der Verzweiflung im Herzen, scharfe Spitze, die tief eindringt, schwarze Strudel der Ohnmacht! Die einzige freundliche Macht, die einzige Wurzelfaser, die mich noch in der Wirklichkeit festhält, gibt mich auf und verschwindet.
    Und immer weiter hinab auf dem dunklen Wasser...
     
    In meinem Leben sind bei zwei oder drei Gelegenheiten Wunder geschehen. Ich habe mich immer geweigert, an sie zu glauben, weil damit Konsequenzen für alle übrigen persönlichen Glaubensvorstellungen verbunden sind, Spekulationen über Gottheiten, Mächte, niedere und höhere Gewalten und Strukturen, die meine Vernunft nicht beherrscht. Der Wunderglaube führt rasch zu einem unkontrollierbaren Irrationalismus, einem System von Ordnungen jenseits des Menschen, die für mich erschreckend sind und verboten.
    Gleichwohl habe

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