Ritter-Geist
kannst?«
»Nun, mir fällt gerade ein, daß es dich wahrscheinlich nicht i n teressieren wird. Kinder tun das nämlich nicht.« Doch das G e spenst war um ein oder zwei Schattierungen bleicher geworden als zuvor.
Gar keine Frage – Jordan war Teil der Erwachsenenverschw ö rung. Hier war irgendein Geheimnis im Spiel, das sämtliche E r wachsenen allen Kindern vorenthalten wollen. »Fangen wir doch noch einmal von vorne an«, sagte Ivy. »Als du und Elsie…«
»Ah, Elsie«, sagte das Gespenst traurig. »Ich wüßte wirklich zu gerne, wie sie es überlebt hat.«
»Äh, ja«, stimmte Ivy zu, die ebenfalls neugierig war. Und als der Wandteppich Elsie zeigte, kurz nachdem Jordan sie verlassen ha t te, verfolgte sie das Leben der Frau vorwärts anstatt rückwärts. Wie Jordan hatte auch Ivy ihre Schwächen. Die Neugier neigte dazu, ihren Verstand lahmzulegen. Was war denn nun wirklich mit Elsie geschehen?
Es stellte sich heraus, daß Elsie nicht allzu lange trauerte. Kaum war Jordan verschwunden, als ein stattlicher Bauer ihr den Hof zu machen begann; als die Zeit verging und Jordan nicht zurüc k kehrte, richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf den Bauern. Schlie ß lich heiratete sie ihn, und der Klapperstorch lieferte auch ein Baby, doch wann immer das Paar dem Storch Signale sandte, waren die Lichter aus, so daß Ivy nach wie vor unerleuchtet blieb.
»Das ist eine Erleichterung!« rief Jordan.
»Was?« fragte Ivy gereizt.
»Zu erfahren, daß ich Elsie doch nicht dem Verderben in die Arme getrieben habe«, sagte das Gespenst. »Nun brauche ich mich nicht mehr schuldig zu fühlen. Sie war besser dran ohne mich. Ich war für sie nur eine vorübergehende Flamme, genau wie umg e kehrt.«
»Ach so.« Nun richtete sich Ivys volle Aufmerksamkeit wieder auf Jordan. »Dein magisches Talent… könntest du heute wieder zum Leben erwachen, wenn man deine Knochen zusammenfü g te?«
Jordan dachte nach. »Ich weiß es nicht… es ist schon sehr lange her… und außerdem weiß ich sowieso nicht, wo man meine Kö r perteile vergraben hat, deshalb kann man sie auch nicht zusa m menfügen.«
»Ich weiß, wo sie sind«, sagte eine schwache Stimme hinter ihm.
Jordan wandte sich um. »Oh, Renee! Ich wußte gar nicht, daß du hier bist!«
Das weibliche Gespenst nahm eine sichtbare Gestalt an. Ivy e r kannte, daß Renee einmal sehr hübsch gewesen sein mußte. »Ich… habe nach ihnen gesucht, und die Bäume haben sie mir gezeigt«, sagte Renee.
»Warum hast du das getan?« fragte Jordan verwundert.
»Weil ich dich liebe.«
Jordan fühlte sich beschämt. »Ich bin nie auf den Gedanken g e kommen, nach deinen Knochen zu suchen! Offensichtlich liebe ich dich nicht so sehr wie du mich!«
»Das ist schon in Ordnung«, meinte Renee tröstend. »Ich bin auch nicht so liebenswert wie du, Jordan.«
Ivy stürzte sich förmlich auf die Information. »Bring mich zu Jordans Knochen!« rief sie. »Ich werde sie zusammenfügen, damit er wieder leben kann!«
»Aber vielleicht funktioniert es gar nicht«, protestierte Jordan.
»Unfug!« sagte Ivy mit einer Bestimmtheit, wie sie nur ein Kind ihres Alters aufbringen konnte. »Wenn du es versuchst, wird es auch klappen.« Sie wandte sich an Renee: »Zeig sie mir!«
Gehorsam führte Renee sie aus dem Schloß, über den Graben hinaus in den Obsthain. »Hier liegt der Kopf.« Sie zeigte auf einen Baum.
»Wir werden ihn ausgraben müssen«, sagte Ivy und musterte das feste Erdreich unter dem Baum.
Die beiden Gespenster spreizten die nebligen Hände. »Wir kö n nen keine stofflichen Gegenstände berühren«, erklärte Jordan.
Ivy betrachtete ihre eigenen kleinen süßen Hände. Sie dachte an den ganzen Ärger, den es geben würde, wenn sie die und ihr Kleid beschmutzen würde. »Ich gehe Hilfe holen«, entschied sie.
»Hilfe?« fragte Jordan. »Erwachsene stellen aber gerne peinliche Fragen.«
»Da sagst du etwas! Das ist so ziemlich das einzige, was Erwac h sene wirklich können.« Sie betrachtete das Gespenst. »Vielleicht mit Ausnahme von Barbaren.«
»Danke«, erwiderte Jordan ziemlich schiefmäulig.
»Vielleicht kann der kleine Drache…«, murmelte Renee.
Ivys Miene erhellte sich. Sie schob zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus.
An der anderen Seite des Schlosses rührte sich etwas. Kurz da r auf kam Stanley herangedampft. Erwartungsvoll stampfte er auf Ivy zu.
Ivy zeigte auf den Boden. »Da unten liegt ein Schädel. Such!«
Stanley suchte schnüffelnd.
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