Ritter-Geist
Kurz darauf hatte er ihn geortet. Er zeigte die Stelle mit einem Dampfstrahl an.
»Grab ihn aus – aber vorsichtig!« befahl Ivy.
Stanley hatte nichts dagegen zu helfen. Er bedampfte den Boden, wodurch dieser weich wurde, dann schlug er seine Vorderkrallen hinein. Bald darauf schnüffelte er erneut, weichte das Erdreich mit Dampf auf und zerrte mit den Zähnen den schmutzigen Schädel aus dem Boden.
»Oh, das machst du aber gut!« rief Ivy und schlang Stanley die Arme um den Hals. Sie hatte die Technik weiblicher Schmeichelei vervollkommnet, indem sie ihre Mutter beobachtet hatte, wie diese ihren Vater behandelte. Bei Stanley funktionierte es jedenfalls ganz eindeutig; er ergrünte vor Freude.
Es dauerte nicht lange, da hatte er den Schädel sauber und weiß gedampft, worauf Ivy ihn an den nächsten Ort trug. Renee führte sie zu einem Schuhbaum, unter dem sich tatsächlich eines von Jordans Skelettbeinen befand. Stanley grub es vorsichtig aus, und er unterzog es einer Dampfreinigung.
Der nach und nach auf diese Weise immer größer werdende Knochenhaufen war etwas zu kompliziert, als daß Ivy ihn noch hätte tragen können, also versteckten sie die Knochen unter einem Schirmbaum, außer Sichtweite des Schlosses. Ivy wollte nicht, daß ihr irgendein Erwachsener die Sache jetzt noch verbot. Erwachs e ne sagten nur zu gerne Nein, offensichtlich aus keinem anderen Grund als dem, daß ihnen schon das bloße Aussprechen dieser Silbe finsterstes Vergnügen bereitete.
Das andere Bein befand sich unter einem weiteren Schuhbaum, und Stanley schien die Sache zu genießen: Er liebte es, Dinge zu finden, wenngleich er ein wenig pikiert war, weil man es ihm nicht gestattete, die Knochen aufzufuttern, nachdem er sie entdeckt hatte. Doch er war bereit, statt dessen mit Ivys Umarmungen vo r liebzunehmen. »In solchen Dingen waren die männlichen Wesen ja schon immer ziemlich blöde«, murmelte Jordan voller Erinneru n gen.
Als sie die Arme unter verschiedenen Bäumen gefunden hatten, stellten sie fest, daß eine Hand noch das Schwert hielt, welches Jordan einst dem Ritter abgenommen hatte. Noch immer war es völlig rostfrei und glänzte. »Merkwürdig, daß sie sich die Mühe gemacht hat, dieses Schwert in meine Hand zu drücken«, grübelte Jordan. »Als wäre ich im Kampf gefallen. Doch warum?« Den Oberkörper fanden sie unter einem Kastanienbaum. Threnodia hatte sich offensichtlich jede Mühe gegeben, um die Einzelteile so zu verstecken, daß niemand sie ohne weiteres wiederfinden kon n te. Schließlich war Jordans ganzes Skelett wieder beisammen, ein gewaltiger Knochenhaufen unter dem Schirmbaum. Ivy legte die Stücke aus, so daß die Gestalt auf dem Boden vollständig war. »Und jetzt?« fragte sie. »Fängt es jetzt einfach an zu laufen, wie eines der Skelette im Kürbis?«
»Wie ich schon sagte, nach vierhundert Jahren bin ich mir der Sache keineswegs sicher«, erwiderte Jordan vorsichtig. »So lange bin ich noch nie tot gewesen.«
»Hier, ich habe ein bißchen Heilelixier mitgebracht«, sagte Ivy. Sie holte eine Flasche hervor und beträufelte die Knochen mit dem Elixier. Doch noch immer geschah nichts.
»Na ja, weißt du, da ja mein ganzes Fleisch weg ist…«, fing Jo r dan an.
»Unsinn! Alles, was man dazu braucht, ist Konzentration.« Und Ivy konzentrierte sich.
Obwohl sie noch ein Kind war, war Ivy eine vollwertige Zaub e rin, mit einer Macht, die der aller anderen Magier Xanths in nichts nachstand. Wenn sie sich nur darauf konzentrierte, geschahen die merkwürdigsten Dinge. Nun intensivierte sie also Jordans Wiede r belebungstalent, welches durch das Heilelixier bereits verstärkt worden war – welches ihr Talent wiederum ebenfalls intensiviert hatte. Jordan hatte kein Fleisch mehr, das noch heilen konnte; nur der unvergänglichste Teil von ihm schien übriggeblieben zu sein. Das Ganze machte einen hoffnungslosen Eindruck. Doch kon n ten nicht einmal vier Jahrhunderte etwas gegen Ivys Macht au s richten. Nur wenige Leute hatten je die Gelegenheit, das volle Ausmaß der Magie eines Magiers oder einer Zauberin zu erkennen, denn die war meistens recht unterschwellig. Diese jedoch bildete eine Ausnahme.
Der Effekt war recht erfreulich. Die Knochen fügten sich z u sammen. Der Beinknochen verband sich mit dem Hüftknochen, der Armknochen mit dem Schulterknochen, der Schulterknochen wiederum mit dem Halsknochen. Schließlich waren alle Knochen zusammengefügt, und schon bald war das Skelett intakt.
Nun
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