Ritter-Geist
bestimmt nicht wieder tun«, schwor ich. Doch es war eine leere Versprechung. Ich konnte es ja gar nicht wieder tun. Dennoch nahmen sie meine Reue an, da sie um die Vergänglichkeit und Unwissenheit alles Sterblichen wu ß ten, und ich wurde eins mit dem Schloß. Auch ein leeres Verspr e chen ist immer noch ein Versprechen; ich habe versucht, Schloß Roogna auf jede erdenkliche Weise zu helfen, und vielleicht ist mir das auch damals gelungen, als die Königsmähre Hilfe brauchte, nämlich gegen die Besetzung durch den bösen Reitersmann. D a mit habe ich zwar kaum all das Unheil wiedergutgemacht, das ich damals ausgelöst habe, aber es ist immerhin ein Anfang.
Nach ein paar Jahren erschien ein neues Gespenst, das war R e nee, die du ja kennst. Ihr plötzlicher Tod hatte sie verwirrt, obwohl es ein Selbstmord gewesen war. Leute, die von eigener Hand ste r ben, sind sich oft nicht darüber im klaren, was sie da erwartet. Sie hatte das verlassene Schloß aufgesucht, um ihrer Misere ein Ende zu machen, hatte aber nicht damit gerechnet, daß ihr Bewußtsein nun in dieser Gestalt weiterexistieren würde. Sie hatte unter einer unglücklichen Ehe gelitten, nachdem es ihr unmöglich gewesen war, ihre wahre Liebe zu heiraten, und schließlich hatte sie diesen Ausweg gesucht. Sie erinnerte mich deutlich an Elsie, wenngleich ich zutiefst hoffte, daß ich Elsie nicht in eine ebensolche Lage g e bracht hatte.
Bis dahin war ich der jüngste Geist gewesen, was meine Existenz als Gespenst betraf. Nun löste Renee mich in dieser Rolle ab. Ich war froh, ihr helfen zu können und ihr die ersten Schritte in die Gespensterexistenz zu erleichtern, und sie wußte das auch sehr zu schätzen. Dies half mir, meine eigene Trauer zu vergessen, und ich schätze, bei ihr war es nicht anders. Es stimmt sowohl im Leben als auch im Tod, daß die beste Linderung eigenen Leids dadurch zu erzielen ist, daß man einem anderen Menschen hilft.
Mit der Zeit – es war eine lange Zeit, denn die Gefühle der G e spenster sind so diffus wie ihre Stofflichkeit – wurde aus dieser Beziehung Liebe. Nun war Threnodia nur noch eine ferne Erinn e rung; Renee war es, für die ich nun existierte. Im Tod hatte ich meine Lebenspartnerin gefunden, und ich wußte, daß sie Gleiches für mich empfand. Obwohl es für uns beide schon zu spät gew e sen war, als wir uns begegnet waren.
Schließlich kam König Trent auf Schloß Roogna und verschaffte der Monarchie wieder ihre rechtmäßige Rolle. Einmal mehr gedieh Xanth, und das finstere Zeitalter war überwunden. Das neue Zei t alter ist nun über dreißig Jahre alt, und den Menschen geht es gut, doch wir Gespenster bleiben. Denn unsere Geschichten sind noch nicht zu Ende, und vielleicht werden sie es auch niemals sein.
16
Ätzende Wahrheit
»Und das«, schloß Jordan das Gespenst, »ist meine Geschichte, so traurig sie auch sein mag. Ich bin ein unwissender Barbarentor gewesen und habe dafür den Preis gezahlt. Und doch bin ich heute in gewisser Weise glücklich, denn ich habe gesehen, wie das finst e re Zeitalter Xanths endete, und ich liebe Renee. Und nun erinnere ich mich auch wieder an die Geschichte meines Lebens, dank de i ner Reinigung des Webteppichs. Ich danke dir, kleine Prinzessin, auch wenn nicht alle meine Erinnerungen angenehm waren.«
Ivy dachte nach. Die Erzählung des Gespenstes hatte weitaus mehr hergegeben, als sie erwartet hatte, und sie besaß einige Aspekte, die zu verstehen einem fünfjährigen Mädchen doch ein wenig schwer fielen. Nun fragte sie sich, was eigentlich an diesem Herbeirufen des Klapperstorchs dran war. Ging es dabei nicht einfach nur ums Küssen? Ihre Eltern neigten dazu, ausweichende Antworten zu geben, wenn ihre Fragen allzu direkt wurden, und sie hegte den Verdacht, daß Jordan wohl kaum offener darüber reden würde. Dennoch, einen Versuch war es immerhin wert.
»Also diese Sache mit dem Storchrufen verstehe ich immer noch nicht«, sagte ich. »Wie macht man das denn eigentlich genau?«
»Äh, das habe ich vergessen«, meinte Jordan verlegen.
»Na schön, dann konzentrieren wir uns eben auf eine der Szenen in dem Teppich und vergrößern sie. Das müßte deine Erinnerung auffrischen.« Wenn es um die Befriedigung ihrer Neugier ging, dachte Ivy immer sehr praktisch.
»Ich bin sicher, daß das gar nicht nötig ist«, meinte Jordan schnell. »Es ist eine ziemlich langweilige Angelegenheit.«
»Woher willst du das denn wissen, wenn du dich doch nicht e r innern
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