Rittermord
Teil auch schon vorbei, und Deutsch/Stauffenberg durfte seine beiden Knappen höchstpersönlich zu Rittern schlagen.
Im zweiten Teil des Spektakels ging nun richtig die Post ab. Alle Ritter trugen jetzt volles Ornat, das heißt Helm und Harnisch, und auch die Pferde waren teilweise gepanzert. Durch das Mehrgewicht büßten Tiere wie Akteure etwas an Schwung ein, aber bei dieser Disziplin war weniger Tempo als vielmehr Präzision gefragt, um den Gegner mit einem gezielten Lanzenstoß vom Gaul zu befördern. Natürlich waren die Lanzen nur aus Holz, und wenn sie auf die Schilde trafen, brachen sie weg. War einer der beiden Akteure stuntreif im Dreck gelandet, stieg der andere ebenfalls vom Pferd, und die Hauerei wurde mit Schwertern, Streitäxten oder Morgensternen fortgesetzt.
Fréjus und Stauffenberg besiegten ihre jeweiligen Gegner nach Belieben. Fréjus allerdings unter Zuhilfenahme allerlei fauler Tricks und Unsportlichkeiten. Unter lautem Buhrufen und Pfeifen des Publikums ritt er seine zuvor gestürzten Gegner einfach über den Haufen, attackierte sie hinterrücks oder ließ ihnen keine Zeit, ihre Waffen wieder aufzunehmen. So kam es wie in der Bundesliga: Fréjus wurde vom Turnier ausgeschlossen und mußte den Platz verlassen. Das tat er auch, erwies sich jedoch als wahrer Effenberg des Turniers, denn während seines Abgangs pöbelte er ordentlich herum.
Mit fortschreitender Zeit wurde die folterharte Sitzbank nicht weicher und mein Bierdurst um nichts kleiner. Ich war daher froh, daß Stauffenberg seine noch verbliebenen Gegner geradezu im Schnelldurchgang von den Pferden putzte und sich ein rasches Ende der Geschichte abzeichnete. Aber die Vorstellung war längst noch nicht vorbei.
Fréjus hatte nämlich seinen Anhang mobilisiert, und der stürmte nun den Platz und zettelte eine Massenschlägerei mit den gegnerischen Landsknechten an. Überrascht von so viel Frechheit und Heimtücke mußte sich Stauffenbergs Anhängerschaft bald geschlagen geben. Das war der Moment, auf den Fréjus gewartet hatte: Angetan mit Helm und Harnisch ritt er erneut auf den Platz und forderte Stauffenberg zum Duell, und – surprise – der ließ sich wahrhaftig darauf ein.
»Jetzt kommt das Finale«, raunte Gina mir zu und war so aufgeregt wie eine Vierjährige im Kasperletheater.
Der weiße und der schwarze Ritter, der Gute und der Böse, Stauffenberg und Fréjus, nahmen Aufstellung zum alles entscheidenden Kampf. Stauffenberg direkt vor unserer Tribüne, Fréjus am anderen Ende des Platzes. Für einen Moment herrschte atemlose Stille, die nur vom Schnauben der Pferde gestört wurde. Dann folgte ein Trommelwirbel, der sich durch unseren defekten Lautsprecher wie ein Platzregen anhörte, und die Posaunen gaben das Signal. Ein letztes Hufscharren – Stauffenbergs Pferd hob noch einmal den Schweif und ließ einen Apfel fallen – und los ging’s.
Obwohl ich wußte, daß der Ablauf der Ereignisse feststand und daß es sich nur um eine vortrefflich einstudierte Inszenierung handelte, konnte ich mich doch der Dramatik des Augenblicks nicht völlig entziehen. Wie die beiden aufeinanderzustürmten, das hatte schon was von High noon at it’s best.
Sechs, höchstens sieben Pferdelängen trennten die beiden Recken noch. Die Lanzen senkten sich. Noch vier Längen, noch drei, noch zwei – und dann krachte es.
Das erste, was mich irritierte, war, daß Fréjus sein Pferd nach dem Anprall nicht zügelte, um absteigen zu können, sondern ihm im Gegenteil die Sporen gab. Im wilden Galopp kam er auf uns zu, schoß seitlich an der Tribüne vorbei und ritt über die hinter uns liegenden Wiesen davon. Ich sah noch, wie er über einen Zaun setzte, dann verschluckte ihn die Nacht. Zur gleichen Zeit fingen die Leute an zu schreien. Als ich wieder nach vorne blickte, sah ich auch, warum.
Fréjus’ Lanze hatte Deutsch in Höhe des Solarplexus durchbohrt, und jetzt steckte er darauf wie ein Stück durchwachsener Speck auf einem Schaschlikspieß. Er war vom Pferd gestürzt, wobei er seinen Helm verloren hatte, aber es war ihm gelungen, sich hinzuknien, und jetzt versuchte er aufzustehen. Auf die Beine zu kommen mißlang ihm, er sank zurück. Dann drehte er seinen Kopf in unsere Richtung und öffnete den Mund, als wolle er schreien. Aber es kam nur ein Schwall Blut.
Das war der Moment, in dem Gina die Besinnung verlor.
Kapitel 7
Juni 1997
Bad Münstereifel
Den Golf stellten wir auf P10 außerhalb der Stadtmauer ab, weil Gina meinte, das
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