Rittermord
ob Josef Feinde hatte?«
»Kann sein, ich weiß es nicht. Ich war völlig hysterisch und hab bloß geheult. Den beiden war ich keine große Hilfe.«
»Dann kommen sie wieder«, sagte ich. »Als Sie die Sahne aus dem Kühlschrank genommen haben, hab ich da ’n Bier gesehen. Kann ich das haben?«
»Sicher. Ich trink kein Bier.«
Ich hatte mit einem vorwurfsvollen Blick von Gina gerechnet, aber er blieb aus. Das Bier war ein Pinkus und lief prächtig. Am besten war jedoch, daß es nicht nach Pfefferminz schmeckte.
»Bleiben Sie doch erst mal hier wohnen«, sagte Gina und fegte alle Krümel, die sie zuvor mühsam zusammengeschoben hatte, wieder auseinander. »Bis alles geklärt ist. Sie haben doch hier auch Ihre Arbeit.«
Weil Beate darauf nichts entgegnete, fragte Gina: »Was halten Sie davon?«
»Arbeit hatte ich«, sagte Beate schleppend. »Am Samstag hab ich gekündigt.«
Das überraschte sowohl Gina als auch mich. Verblüfft nahmen wir Blickkontakt auf, aber eine weitere Verständigung kam nicht zustande, weil es läutete. Da ich den kürzesten Weg hatte, ging ich.
Der Anblick des Mannes vor der Tür haute mich fast aus den Hush-Puppies – Josef Deutsch war auferstanden. Größe, Statur und Haltung, einfach alles stimmte.
Auf den zweiten Blick entdeckte ich dann die Kleinigkeiten, die den Unterschied machten. Die Haare waren einen Schnitt kürzer, und der Bart war sauber gestutzt. Die Brauen waren buschiger, zudem war die über dem rechten Auge von einer Narbe zweigeteilt. Dazu kamen ein goldener Ring im linken Ohr und schwacher Zigarillogeruch. Und der Mann steckte von Kopf bis Fuß in schwarzen Designerklamotten. Ich bezweifelte, daß Josef Deutsch so etwas getragen hätte.
»Ich sehe, man hat versäumt, Ihnen mitzuteilen, daß Josef und ich aus demselben Ei geschlüpft sind.« Sogar die Stimme war die gleiche. Er streckte seine Hand aus. »Sagen Sie einfach Jakob zu mir.«
Kapitel 8
Jakob begrüßte beide Frauen – Gina zuerst – mit Wangenküssen und Umarmungen. Allen kamen die Tränen. Da es in der Küche nur drei Stühle gab, wechselten wir zurück ins Wohnzimmer.
Gina und Beate nahmen das Sofa, ich setzte mich in den Sessel neben dem Sony-Turm und ließ meine Finger über die gestapelten CDs laufen. Fast ausschließlich Jazz. Wenn ich mich nicht irrte, entsprach auch das Ginas Geschmack. Jakob suchte unterdessen im Schrank nach dem Testament seines Bruders. Ein halbes Dutzend Aktenordner hatte er schon durchkämmt.
»Nichts«, sagte er. »Weißt du denn nicht, wo er seine Sachen aufbewahr that?«
Die Frage galt Beate. Sie schüttelte den Kopf.
»Bist du sicher, daß er überhaupt eins gemacht hat?« fragte Gina. »Schließlich ist doch alles klar.«
»Was ist klar?«
»Du bist sein einziger Verwandter und damit Alleinerbe.«
»Und wenn er für euch beide auch was verfügt hat?«
»Dann haben wir eben Pech gehabt«, sagte Beate und stand auf. »Ich muß hier raus. Mir ist das alles zu geschäftsmäßig.«
»Bei aller Pietät, solche Dinge müssen geregelt werden.« Jakob faßte sie am Arm. »Nun bleib schon hier.«
»Faß mich nicht an!« schrie sie und schlug nach ihm. Es fehlte nur, daß sie fauchte.
»Okay, okay«, sagte er und hob beschwichtigend die Hände. »Ganz ruhig, Mädchen. Vielleicht interessiert dich wenigstens, daß die Bullen das Pferd gefunden haben.«
»Wo?« fragte ich.
»Ich habe heute morgen mit diesem Kommissar – wie heißt er noch? – Emmelmann telefoniert. Der Gaul stand friedlich grasend auf dem Autobahnparkplatz Lessenich, angebunden an einen der Picknick-Tische. Auf dem Parkplatz muß der Mörder seinen Wagen abgestellt haben.«
»Oder er hat sich dort abholen lassen.«
»Dann wären ja mehrere Leute an der Tat beteiligt gewesen«, sagte Gina.
»Willst du das ausschließen?«
»Soweit ich das verstanden habe«, sagte Jakob, »geht die Kripo von einem einzelnen Täter aus.«
»War es das?« fragte Beate. »Ich ersticke hier drin.«
»Nehmen Sie mich mit?« fragte ich.
»Aber nur, wenn Sie nicht quatschen«, sagte sie.
*
Wir wandten uns nach rechts und schlenderten durch die Schlucht der Fachwerkhäuser vorbei am Geburtshaus des Barockmalers Chrysanth Bollenrath. Ein Stück weiter erinnerte ein hüfthoher, bronzener Stein mit einem siebenarmigen Leuchter daran, daß sich dort bis 1938 die Synagoge der jüdischen Gemeinde befunden hatte. Dann endete die Orchheimer Straße, und wir befanden uns auf dem Markt, wo ein hölzerner St. Johannes in
Weitere Kostenlose Bücher