Rittermord
nicht allein.«
Das Markttreiben und die verschiedenen Darbietungen hatten merklich nachgelassen, da das Volk bereits in Richtung der Tribünen strebte. In vierzig Minuten sollte das Flammenturnier starten.
Jenseits des Baches, am Westende des Turnierplatzes, befanden sich die provisorischen Stallungen und der abgesperrte Bereich, in dem sich die Reiter vorbereiteten. Riesige, alte Laubbäume und allerlei Gebüsch grenzten das Gelände zu der nahen Bahnstrecke ab. Gina sprach einen Harlekin mit Schnabelschuhen und Glöckchenkappe an. Da die beiden fünf Meter entfernt standen, verstand ich kein Wort, aber des Narren Achselzucken sagte mir, daß Josef noch immer nicht eingetroffen war.
Wir beschlossen, unsere Plätze auf der Tribüne am anderen Ende des Platzes einzunehmen und drängten uns durch die Menge, als Deutsch plötzlich wie aus der Erde gewachsen vor uns stand. Er trug wieder diese Wildlederhose, aber diesmal ein gelbes T-Shirt statt des Holzfällerhemdes. Das Shirt war völlig durchgeschwitzt, und die Haare klebten ihm am Kopf. Seine Augen signalisierten äußerste Nervosität, und bevor er auch nur einen Ton gesagt hatte, hatte er sich bereits fünfmal umgeblickt, als sei ihm ein lynchbereiter Mob auf den Fersen.
»Tut mir leid«, sagte er, hauchte Gina einen Kuß auf die Wange, faßte sie an beiden Händen und wirbelte sie herum. »Ich konnte nicht früher. Mir ist kurzfristig was dazwischengekommen.«
»Was ist denn los?« fragte sie. »Du bist ja völlig außer Atem.«
»Streß, Streß, Streß.« Deutsch grinste. »Ich erzähl’s euch später, ja? Ich muß mich noch umziehen. Bis nachher.«
Ein erneuter Kuß für Gina, und er war zwischen den Umstehenden verschwunden.
»Siehst du«, sagte ich. »Alle Panik war umsonst.«
»Ja«, murmelte sie. »Scheint so.«
Kapitel 6
In den Boden gerammte Fackeln und vereinzelte Fluter tauchten den Turnierplatz in ein gespenstisches Halbdunkel. Von der Regietribüne aus erläuterte der Zeremonienmeister gestelzt und in altertümlich gewürztem Deutsch den Ablauf der bevorstehenden Veranstaltung. Der Lautsprecher, auf den wir angewiesen waren, hatte Aussetzer und verzerrte, aber ich verstand immerhin soviel, daß gleich um die Ehre einer gewissen Isabella von Gymnich gestritten werden würde, der irgendein Franzose dumm gekommen war. Gina zeigte mir ein flachsblondes Fräulein an der Seite des Meisters, das auf die Entfernung aussah wie Otto Waalkes.
Dann kamen die Ritter, drei gute und drei böse. Das wurde gleich klargestellt, damit das Publikum wußte, wann es zu klatschen beziehungsweise zu buhen hatte. Alle trugen Phantasienamen. Deutsch hieß Walter von Stauffenberg und war ein Guter, weshalb er und sein Pferd auch weiß eingekleidet waren. Sein Obergegenspieler war in Schwarz gehüllt und hieß Jerôme de Fréjus, guckte böse und war der Kerl, der dem adeligen Fräulein zu nahe getreten war. Die übrigen Ritter waren Staffage. Ich sehnte mich nach einem Bier.
Im ersten Teil der Veranstaltung mußte jeder der Ritter und Knappen eine Reihe von Übungen absolvieren, bevor sie dann im zweiten Teil aufeinander losgehen durften. Da galt es zum Beispiel, aus vollem Galopp mit der Lanze brennende Holzringe unterschiedlicher Größe aufzuspießen oder gegen einen als Wildsau verkleideten Holzbock anzureiten, um ihm einen Spieß ins aufgemalte Herz zu schleudern. Ich war beeindruckt, welches Tempo die Recken dabei auf der vielleicht achtzig Meter längen Sandpiste aus ihren Pferden herausholten, wobei der weiße und der schwarze Ritter sich durch besondere Dynamik hervortaten. Reiten konnte Deutsch, das mußte man ihm lassen. Das sagte ich auch Gina, die vor Stolz und Aufregung rote Flecken im Gesicht hatte.
Für jede der Übungen gab es Punkte, oder, wie der Sprecher sich ausdrückte, für jedes Exercicium gab es Oculi, wobei ich schnell die Übersicht verlor, wer wieviel auf dem Konto hatte. Dann kam die sechste und letzte Übung, und die war die dramatischste. Unmittelbar vor unserer Tribüne wurden mannshohe Pfähle in Brand gesteckt, zwischen denen die Reiter mit ihren Tieren hindurch mußten, um sich einer Reihe in den Boden gerammter Fahnenstangen zu bemächtigen. Wenn der Brandbeschleuniger einen Umweltengel trug, wollte ich Angela heißen, denn die Pfähle qualmten und stanken, als sei ein Altreifenlager in Brand geraten. Dann drehte auch noch der Wind und jagte die schwarzen Wolken in unsere Tribüne. Gina und ich husteten noch, da war der erste
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