Rivalin der Götter erbin3
hättest dich gut geschlagen.«
»Angemessen.« Ich musste über seinen Perfektionismus lächeln. Er kam näher. Noch war er nicht auf der Veranda, sondern auf dem Boden, wahrscheinlich auf dem kleinen Kopfsteinpfasterweg, der zu meinen Gartenterrassen führte. Ich hatte keine Schritte gehört. Das bedeutete …
»Ich bin jetzt frei«, sagte er im gleichen Moment, in dem ich es erriet. »Für immer.«
Ich nickte erneut. »Nach nur einem Jahrhundert und einem bisschen. Herzlichen Glückwunsch.«
»Ich habe damit nichts zu tun, aber ich bin trotzdem dankbar.« Er kam erneut näher, befand sich nun unmittelbar vor dem Geländer, an dem ich stand. Ich spürte, wie er zu mir emporblickte. Mich musterte, vielleicht daran dachte, wie schön ich einmal gewesen war. Vor vielen Leben. »Ich befürchtete, ich würde dich nie wiedersehen.«
Ich musste lachen, als ich das hörte. In der Stille der Nacht klang es härter als beabsichtigt. »Und ich fürchtete die ganze
Zeit, du würdest mich wiedersehen. Hättest du nicht an meinem Totenbett auftauchen können? Das wäre nett und romantisch gewesen – einen letzten Wunsch erfüllen, sich von einer alten Flamme verabschieden. Nein, ich muss jetzt noch wer weiß wie lange leben, mit knackenden Gelenken und halb zahnlos …«
Ich schüttelte den Kopf. »Dämonen.«
»Vergänglichkeit ist bedeutungslos, Oree.«
O Götter, seine Stimme. Ich hatte vergessen, wie gut es klang, wenn er meinen Namen aussprach. »Das, was dich ausmacht, ändert sich nicht.«
»Aber ich habe mich verändert. Du hast dich verändert. Ich heiße jetzt Desola, weißt du noch? Oree Shoth ist schon lange tot.«
Meine Hände schlossen sich fester um das Geländer. Ich zwang sie, sich zu lockern.
»Vergänglichkeit ist bedeutungslos, außer für uns Sterbliche. Du warst hundert Jahre lang sterblich, das solltest du gelernt haben.«
Er lächelte. Das hatte ich auch vergessen. Ich hatte vergessen, dass ich ihn immer irgendwie fühlen konnte.
»Das habe ich. Aber ich verändere mich nicht.«
Ich seufzte, hob die Hände und blies in sie hinein. Wenigstens hatte ich eine Entschuldigung für mein Zittern; es war verdammt kalt.
Er bewegte sich erneut. Dieses Mal hörte ich seine Schritte auf dem Kopfsteinpfaster. Sie klangen schwer und selbstsicher. Sie erreichten die Stufen zur Veranda, dann die Veranda. Hohl hallten sie über das alte Holz. Und dann war er schon neben mir, und meine ganze linke Seite kribbelte, als ich seine Wärme spürte. Ich spürte sie auf dem ganzen Körper, so als stünde ich neben einem Kamin. Einem hochgewachsenen, atmenden Kamin, der mich ansah, als sei ich die einzige Person auf der ganzen Welt, die für ihn von Bedeutung war.
Ich seufzte tief. Dieses Mal zitterte mein Atem. »Ich habe geheiratet,
musst du wissen. Einen Mann aus dem Ort. Wir waren fast vierzig Jahre lang zusammen. Das ist sehr lang für Menschen.«
Der letzte Satz war unnötig, aber ich sprach ihn trotzdem aus.
Nach all den Jahren unserer Ehe hatte Cingo irgendwann bemerkt, dass ich nicht alterte – zumindest nicht so schnell, wie ich hätte altern sollen. Gegen Ende hatte er oft im Scherz gesagt, ich wäre seine Vorzeigefrau, und dann war mir wieder eingefallen, dass mein Vater ebenfalls noch im Alter jung ausgesehen hatte. Ich begann zu trauern, denn ich wusste, dass ich nach Cingos Tod in eine neue Stadt ziehen und alles aufgeben musste, um ein neues Leben zu beginnen. Ich musste den Fragen der Leute aus dem Weg gehen und ihren Gerüchten. In meinen Albträumen jagte T’vril Arameri mich immer noch – was dumm war, denn er war ebenfalls bereits vor Jahrzehnten gestorben, und seine Nachkommen hatten alles getan, um die Erinnerung an ihn auszulöschen. Meine Geheimnisse waren vermutlich mit ihm gestorben. Vermutlich.
Cingo hatte mich in diese neue Stadt begleitet und mir bei der Suche nach einem Haus geholfen. Er hatte sogar den verdammten Kamin repariert, wenn auch schlecht. Und dann war er gestorben, allerdings nicht, ohne mir vorher zu befehlen, einen neuen Gefährten zu finden, damit ich nicht allein sein musste. Ich hatte ihm nicht gehorcht.
Mein Begleiter nickte. »Du warst glücklich mit ihm. Gut.«
»So glücklich, wie man nach vierzig Jahren Ehe sein kann.« Aber ich war glücklich gewesen, sogar sehr. Cingo war genau der Mann gewesen, den ich gebraucht hatte, ruhig und zuverlässig. Wenn er nur etwas länger gelebt hätte! Ich seufzte erneut und begann mich instinktiv in der
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