Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
ausmalen als dumme Missverständnisse zwischen zwei einander liebenden Menschen?
Einen Tag später ritt Rixende auf Carcassonne zu, bedrückt über das, was vorgefallen war, erleichtert, dass die lange Reise bald ein Ende hatte, und ängstlich, weil sie sich vor dem leeren Haus fürchtete, in das sie zurückkehren musste. Sie würde Castel Fabri vermissen, und sie hatte Aimerics wegen noch immer ein schlechtes Gewissen.
Nachdem Benete und alle anderen Hausbewohner ihr einen freudigen Empfang bereitet und mit ihr Abu Ras` Tod beklagt hatten, sortierte sie die Briefe, die in der Zwischenzeit eingetroffen waren.
Die meisten waren geschäftlicher Art. Johan Silvius aus Marseille bat in gewählten Worten darum, die dortigen Läger bis zu ihrer eventuellen Wiederverheiratung in Eigenverantwortung führen zu dürfen, und der erste Tuchhändler aus Toulouse, ein gewisser Marcus Perrin, der seinerzeit das herrliche Hochzeitsschiff gesandt hatte, wollte wissen, ob man auch im kommenden Jahr mit einer Fracht Seide aus China würde rechnen können. Mit klopfendem Herzen öffnete sie auch einen Brief von Ibrahim Suleyman, der ihre Nachricht über den Tod seines Neffen offenbar noch nicht erhalten hatte. Sein Besuch müsse erneut aufgeschoben werden, schrieb er bedauernd. Insha` allah!
Dann lag noch ein Brief von Mengarde vor ihr. Ihn hatte sie aufgehoben bis zuletzt. Sie freute sich, von der Muhme zu hören, wunderte sich aber ein wenig, weil die alte Frau eigentlich gar nicht schreiben konnte. Sie riss den Brief auf und erkannte sogleich Christians Handschrift.
„Liebe Rixende“, war zu lesen. „Ich denke oft an Dich. Du fehlst uns allen sehr. Die Großmutter hat mich ermahnt, Dir buchstabengetreu ihre eigenen Worte aufzuschreiben, was ich jetzt tun will:
Mein armes Täubchen, wie bin ich erschrocken, als ich vom Tod Deines Mannes erfuhr. Auch der alte Fabri ist gestorben. Am liebsten hätte ich hier alles stehen und liegen lassen, um zu Dir zu eilen. Aber Grazide kränkelt noch immer, und die Arbeit im Haus bleibt an mir hängen. Ich soll Dich von meinem Sohn und von allen anderen grüßen, sie trauern mit Dir um Deinen Mann.
Nun ist etwas geschehen, was ich Dir unbedingt erzählen muss. Du erinnerst Dich sicher an den frechen Mönch, der Dir den Wandbehang mit dem Einhorn geschenkt hat auf Deiner Hochzeit. Er war hier! Ja, Du hörst richtig. Er war hier in Gavarnie.
Du glaubst mir nicht? Ich schwöre Dir, mein Täubchen, dass er es war. Er lief mir am Sonntag beinahe in die Arme. Ich war so erschrocken, dass mir der Mund offen stehenblieb. Doch er hat mich gar nicht wahrgenommen. Ich hab am ganzen Körper gezittert, als ich wieder daheim war. Aber es kommt noch schlimmer! Der Kerl war bei uns im Haus und hat Grazide, die an diesem Sonntag unpässlich war und nicht in die Kirche konnte, über Dich ausgefragt. Wo Du herkämst, wollte er wissen, wie Dein wirklicher Name ist und so weiter. Grazide hat Dich nie leiden können, das weißt Du ja, und das Weibsstück hat ihm bestimmt alles erzählt, obwohl sie es abstreitet. Mein Vater hat immer gesagt: Wenn man seinen eigenen Verwandten etwas Schlechtes nachsagt, schneidet man sich selbst die Nase ab. Nun, Du bist nicht mit ihr verwandt, und Grazides spitze Nase steht auch noch immer in ihrem Gesicht, aber ich habe sie dennoch angeschrien und durchgeschüttelt, doch sie hat sich – wie sie es immer tut – dumm gestellt. Mein lieber Enkelsohn Christian ist auch beunruhigt wegen dieser Sache. Ach, es wäre gut, wenn Du wieder zu uns nach Gavarnie kommen könntest. Doch mein Sohn sagt, er ist hier noch immer der Bayle, und er kann – nachdem die Katze nun in den Brunnen gefallen ist – es nicht verantworten, dass Du zurückkehrst. Er bittet Dich jedoch um allergrößte Vorsicht und darum, jedermann zu sagen, dass er Dich einzig aus Nächstenliebe aufgezogen hat und darüber hinaus nichts weiß. Bitte, mein liebes Kind, pass gut auf Dich auf! Deine Muhme Mengarde.“
Ein Nachsatz von Christian besagte, dass er, wenn sie ihn brauchte, jederzeit nach Carcassonne reiten würde, auch während der Schafschur und des Käsemachens und trotz väterlichem Verbots.“
Bereits beim Lesen hatte Rixende ein Schauer nach dem anderen überfallen. Jetzt war ihr speiübel, und ihr Kopf fing heftig an zu schmerzen. Sie legte das Blatt beiseite und atmete tief ein und aus, um sich wieder zu fassen. Es war kaum zu glauben: Fulco war in Gavarnie gewesen, hatte frech hinter ihr her spioniert.
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