Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
sagte sie sich, dass sie keinen Grund hätte, sich zu schämen. Offen blickte sie dem alten Elias in die Augen und entgegnete scharf:
„Wollt Ihr jetzt eine Rechtfertigung von mir hören, lieber Freund, oder was beabsichtigt Ihr mit Eurer Frage?“
Patrice sah Rixende an. Diesen scharfen Ton kannte er nicht an ihr. Hätte er schweigen sollen? Aber er hatte doch zu keiner Zeit sie selbst in Verdacht …
„Bitte entschuldigt, ich dachte natürlich nie …“
„Ach, Herr Patrice, glaubt doch nicht sämtlichen Anschuldigungen dieses elenden Abbéville!“
Patrice riss in einer ohnmächtigen Geste die Arme nach oben. Er war überrascht, konnte sich aber noch immer keinen Reim aus ihrem Verhalten machen.
Nach einer Weile meinte er: „Vielleicht habt Ihr recht. Man weiß heutzutage wirklich nicht mehr, wem man noch Glauben schenken darf und wem nicht! Was die von mir angesprochene Dame aus bestem Stand angeht, so habe ich allerdings einen ganz bestimmten Verdacht. Die Frau des …“
„Ich will es nicht wissen, Herr Patrice“, unterbrach ihn Rixende mit fester Stimme.
Als er sich endlich erhob, um nach Hause zu gehen, war Rixende zum ersten Mal in ihrem Leben darüber dankbar.
Ibrahim, der den Wortwechsel der beiden im Nebenzimmer mitgehört hatte, begleitete Patrice hinaus und schloss hinter ihm die Tür. Als er zurückkam, wandte er sich an Rixende.
„Liebe Frau, erlaubt mir ein offenes Wort. Ich bemerke wohl, dass Ihr Eure Gefühle gut vor den Leuten zu verstecken wisst. Mir blieb jedoch nicht verborgen, dass Euch dieser Inquisitor, von dem gerade die Rede war ... nun ja, dass er Euch viel bedeutet. Lasst mich Euch einen guten Rat geben: Folgt einzig Eurem Herzen, und hört auf niemanden sonst, nicht auf Freund oder Feind. Im übrigen sind die Geschäfte, so wie wir es vor Eurer Reise begesprochen haben, abgewickelt. Das Lager hier in Carcassonne ist weitgehend leer. Nur Wertloses befindet sich noch in den Warengestellen. Johan Silvius aus Marseille wird Eure Gesellen übernehmen, wenn Ihr hier aufbrecht, und danach selbständig seine Geschäfte leiten, ebenso wie Eure Teilhaber aus Agde und Cotllioure. Es wird also Zeit für mich, nach Damaskus zurückzukehren.“
Rixende erschrak. „Ihr wollt übers Meer, Herr Ibrahim? Jetzt, mitten im Winter?“
„Ich muss nach Hause. Zuvor will ich jedoch die Stadt Narbonne und danach Barcelona aufsuchen. Ich habe nur Eure Rückkehr abgewartet. Es gibt aber noch etwas, das mir am Herzen liegt. Versteht meine Anfrage bitte nicht so, als wenn ich für Abu Ras oder Ali einen Ersatz von Euch erbitte.“
Erstaunt sah ihn Rixende an. „Wie meint Ihr das, Herr Ibrahim?“
„Nun, ich hätte Interesse an dem Jungen, an Paco. Das Kerlchen ist klug und aufmerksam - und ist noch biegsam in seinem Alter. Das Kloster ist nichts für ihn, er leidet. Während Eurer Abwesenheit ist er dreimal davongelaufen. Jedes Mal hat er sich hierher geflüchtet. Ich könnte ihn in Damaskus gut gebrauchen. Mein Handel blüht, aber meine Töchter haben allesamt auch nur Töchter zur Welt gebracht.“
Rixende zögerte. Sie hatte sich an den lustigen Jungen mit dem Lockenhaar gewöhnt und wollte ihn selbst wieder zu sich nehmen. Die Gefahr, dass ihn die Inquisition verhören würde, war wohl vorüber. Doch wie hätte sie Ibrahim diesen Wunsch abschlagen können?
„Gut, wenn Paco damit einverstanden ist, kann er mit Euch ziehen, Herr Ibrahim. Er wird kein schlechtes Leben an Eurer Seite führen.“
„Bei meiner Ehre!“ Ibrahim verbeugte sich vor Rixende.
„Doch sagt, liebe Frau Rixende, was hält Euch hier noch zurück? Der Mann Eures Herzens ist nicht mehr da. Allah allein weiß, ob Ihr ihn noch einmal zu Gesicht bekommt. Mein Haus steht Euch offen. Salaam! Kommt mit uns nach Damaskus!“
Rixende dachte an die Geheimen Worte, an das ägyptische Pergament, das irgendwo in dieser fremden Stadt neben einem Brunnen verborgen war. Dennoch …
„Ich brauche Zeit ...“, sagte sie nach einer Weile mit fast tonloser Stimme.
„Ja, das verstehe ich gut“, erwiderte der Sarazene väterlich. „Regeln wir nun das Finanzielle ...“
Nach Ibrahims Abreise fühlte sich Rixende erneut sehr einsam. Keine Nachricht von Aton, den sie sofort nach ihrer Rückkehr über das Geschehen in Lombrives informiert hatte, und natürlich keine von Fulco, der – so dachte sie in diesen Tagen oft zornig – nicht unwesentlich dazu beigetragen hatte, dass Simon und die Seinen in der Höhle eingemauert worden
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