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Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)

Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Rixende ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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Nacht stumm, einzig auf den tosenden Wasserfall und all die anderen fremden Geräusche und Gerüche achtend, neben des Bayles Tochter, wartete und wartete, und ließ seinen Tränen so lange freien Lauf, bis es vom Schlaf überwältigt wurde. Heute musste sie darüber lachen, doch damals war es am schlimmsten für sie gewesen, dass es im Hause des Bayles keinen Abtritt gab wie daheim. In Gavarnie, wo man fast das ganze Jahr barfuß lief, und gewissermaßen gemeinsam mit den Tieren unter dem großen flachen Dach lebte, auf dem im Sommer die Garben getrocknet wurden, suchte jedermann bei Wind und Wetter den kleinen Bach auf, der neben dem Geflügelhof mitten durch einen Gemüsegarten mit lauter Zwiebeln, Kohl, Rüben, Lattich und Lauch führte, und – für Rixende ein Graus – man verwendete nach der Notdurft kratziges Stroh statt der gewohnten weichen Mooszöpfe. Des öfteren war sie bei ihrer Verrichtung in den Bach gefallen oder gerutscht und dann tropfnass und heulend zu Mengarde in die Foghana gelaufen, wie man die Küche im Gebirge nannte, um sich von ihr trösten zu lassen. Als sie merkte, dass die Tage kürzer wurden, der Winter Einzug hielt, ohne dass der Vater gekommen war, nach einem neuen Sommer erneut der Schnee die hohen beinahe senkrecht abfallenden Felswände bedeckte, die ringsum das verwunschene, ebenfalls eingeschneite Dorf Gavarnie beschützten, packte sie schiere Verzweiflung. Ach, könnte ich die dunkle Zeit nur verschlafen, dachte sie unablässig, und sie glaubte, sie würde niemals mehr fröhlich werden. Niemand konnte sie trösten. Rixende hatte große Achtung vor dem „Schwarzgefiederten“, wie sie den Bayle heimlich nannte, weil seine dunkelglänzenden, dichten Haare sich wie ein Rabenschopf um sein Haupt legten. Er hatte ihren Vater vor Jahren auf einem Kreuzzug kennengelernt und war ihm ein guter Freund geworden. Dass beide heil nach Hause gekommen waren, hatten sie als Geschenk Gottes angesehen. Der Bürgermeister von Gavarnie war wohlhabend, er besaß als einziger im Dorf fünf fette Maultiere und drei Ochsen. Seine Frau war bei der Geburt von Gesine gestorben. Seitdem stand, von zahlreichem Gesinde unterstützt seine Mutter Mengarde dem Haushalt vor. Man rief sie „Na Mengarde“ – also Domina, Herrin.
    Arnaud, der älteste Sohn des Bayle, lebte ebenfalls im Hause seines Vaters. Seine Leidenschaft galt den großen Viehherden der Familie, die er des Sommers zusammen mit Christian und etlichen Knechten hütete, hoch oben auf den umliegenden Hängen, wo im Frühling der rosafarbene Rhododendron blühte. Verheiratet war er mit Grazide, einer dürren, ein wenig tölpelhaften Frau, die zwar unschuldig aussah, aber den Teufel im Leib trug, wie Mengarde oft sagte. Am Fest des Bären, das jedes Jahr zum Winterende gefeiert wurde, hatte man sie einmal erwischt, wie sie sich heimlich mit einem anderen Mann davonschleichen wollte. Zur Rede gestellt, rechtfertigte sie sich damit, dass ihr Mann immer so unfreundlich zu ihr wäre, sie truiassa – also „Sau“ schimpfe und schlüge und obendrein von Ostern bis Michaelis auf der Weide sei. Der andere jedoch hatte sie nicht ernsthaft begehrt. Und so war sie reumütig ins Haus zurückgekehrt, wo Mengarde sie mit Nichtbeachtung strafte und ihren Beschwerden über Arnaud lapidar ein altes Sprichwort der Bergbewohner entgegensetzte: „Wer seine Frau mit dem Kissen verhaut, tut ihr nicht weh, weint sie auch laut!“
    Nach und nach hatte sich Rixende in ihr Schicksal ergeben und ihren schönen Namen Ava von Planissoles vergessen. Die Eltern mussten tot sein, denn sonst hätten sie sie niemals im Stich gelassen. Aber was war mit ihrem Bruder? Klug und mutig, wie ihn Rixende in Erinnerung hatte, war es sein heißester Wunsch gewesen, sich als Ritter auf die Suche nach dem Heiligen Gral zu begeben, was Mutter als Träumerei abgetan und Vater insgeheim mit Stolz erfüllt hatte. Doch als eines Tages ein maurischer Sterndeuter und Wahrsager nach Montaillou gekommen war und Simon sich von ihm auf dem Dorfplatz voller Begeisterung die Zeichen des Vogelflugs hatte deuten lassen, hatte auch Vater ein ernstes Wort mit ihm gesprochen. Seitdem war der Bruder ein anderer geworden. Still und in sich gekehrt, hatte er sich den Betstunden der Eltern, Diener und Nachbarn zugesellt, die im Haus einer Familie Rives immer dann stattfanden, wenn ein Prediger im Ort erschien. Rixende hatte von diesen Dingen nichts verstanden. Erst als sie schon zwölf Jahre alt war, hatte

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