Robbins, Harold - Träume
meinen Sie, werden abgesetzt werden können?«
»Unserem Computer zufolge zwischen fünfhundert- und si ebenhunderttausend.«
Das bedeutete einen Verlust von rund zwei Millionen Dollar, mögliche Profite gar nicht gerechnet. Wieder ein Schlag, direkt in die Magengrube. Ich holte tief Luft. Zu machen war da nichts, jedenfalls nicht im Augenblick. Ein altes Sprichwort sagt, daß eine Lüge meist schon um die halbe Welt gereist ist, während sich die Wahrheit noch die Stiefel schnürt. Würde ich an Stelle dieser Leute wohl anders handeln? fragte ich mich unwillkürlich. Ich würde sicher auch mit niemandem Geschäfte machen wollen, der allem Anschein nach der größte Rauschgifthändler aller Zeiten war.
»Nacken steif, Charlie«, sagte ich. »Sobald wir diese leidige Geschichte ausgeräumt haben, normalisiert sich das alles wieder.«
Ich legte auf. Wieder erklang der Summer der Gegensprechanlage. »Bobby ist hier und möchte Sie sehen.«
»Schicken Sie ihn rein.«
Als Bobby eintrat, sah ich, daß seine Augen vom Weinen gerötet waren. »O Gareth!« rief er. »Ich kann einfach nicht glauben, daß sie tot ist.«
Ich stand auf und legte die Arme um ihn. Er lehnte seinen Kopf an meine Brust und schluchzte wie ein Kind. Sacht strich ich ihm übers Haar. »Beruhige dich doch«, sagte ich.
»Warum hat sie sich denn nur umgebracht? Ich werde das nie verstehen. Nächsten Monat wollte sie doch heiraten.«
»Sie hat sich nicht selbst umgebracht.«
Er löste sich von mir. »Aber die Polizei sagt das doch. Die Beamten behaupten, es gebe kein Anzeichen dafür, daß sich außer ihr noch jemand im Appartement befand.«
»Es ist mir verdammt egal, was die Polizei sagt.« Ich ging hinter meinen Schreibtisch zurück.
»Aber wenn sie sich nicht selbst umgebracht hat, wer hat es dann getan?«
»Vermutlich dieselben Leute, die Julio ermordeten. Wahrscheinlich nahm man an, daß zwischen beiden eine viel engere Bindung - und Verbindung - bestanden hatte, als das in Wirklichkeit der Fall gewesen war.«
Er starrte mich aus großen Augen an. »Die Mafia?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Aber ich werde verdammt noch mal alles daransetzen, das herauszubekommen.« Ich nahm eine Zigarette aus dem Kästchen auf der Schreibtischplatte und zündete sie an. »Ist dein Vater in der Stadt?«
»Er ist zu Hause.«
Ich drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. »Holen Sie Reverend Sam für mich an den Apparat. Er ist bei sich zu Hause.« Ich blickte wieder zu Bobby. »Ich glaubte, er habe Bruder Jonathan vor zwei Jahren endgültig von Bord geschickt?«
»Du kennst Vater doch. Er sieht in den Menschen nur das Gute. Und Bruder Jonathan verstand es, ihn davon zu überzeugen, daß Denise rauschgiftsüchtig gewesen sei und er -wenn auch vergeblich - versucht habe, sie von ihrer Sucht zu befreien.«
Der Summer ertönte. »Reverend Sam für Sie, Mr. Brendan.«
Aus seiner Stimme klang aufrichtige Anteilnahme. »Eine entsetzliche Geschichte, Gareth, eine ganz entsetzliche Geschichte. Sie war ein reizendes Geschöpf.«
»Ja, Reverend Sam. Aber ich rufe Sie jetzt wegen Bruder Jonathan an.«
»Schockierend. Ich vermag gar nicht zu glauben, daß dieser Mensch einer solchen Doppelzüngigkeit fähig war.«
»Wie lange kannten Sie ihn eigentlich?«
Er schwieg, schien zu grübeln. »Warten Sie ... so sieben oder acht Jahre ... gleich nach seinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst kam er zu uns.«
»Wie haben Sie ihn kennengelernt?«
»Ihr Onkel John schickte ihn zu mir. Es hatte damals eine Reihe von Morddrohungen gegen mich gegeben, und er kam, um für mich als Leibwächter zu arbeiten. Aber dann ließ der Herr sein Licht auf ihn fallen, und er begann, sich der Mission zu widmen. Als die Morddrohungen schließlich kein Problem mehr bildeten, war er bereits auf die zweite Ebene gelangt.«
»Verstehe. Vielen Dank, Reverend Sam.«
»Nichts zu danken, Gareth. Falls ich irgend etwas tun kann, um Ihnen Ihre Bürde zu erleichtern, so zögern Sie nicht, sich an mich zu wenden.«
»Nochmals vielen Dank. Auf Wiedersehen, Reverend Sam.«
»Auf Wiedersehen, Gareth.«
Ich legte auf, sah Bobby an. »Du hast recht. Dein Vater sieht in allen Menschen nur das Gute.«
Ein leichtes Lächeln glitt über sein Gesicht. »Der letzte Arglose.«
»Nicht der letzte«, sagte ich. »Der erste.«
Nachdem er gegangen war, blieb ich eine Weile still sitzen und überlegte. Der Gedanke an Bruder Jonathan ließ mir noch immer keine Ruhe. Einem Impuls folgend,
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