Robert Enke
Fehlern setzte ihm zu, dieses Denken: Wenn ich nicht der Beste bin, bin ich der
Schlechteste. Damals als B-Jugendlicher in der A-Jugend muss diese Qual begonnen haben.«
Aber es war doch nur ein einmaliger Moment; ein kurzer Augenblick der Angst, wie ihn Hunderte Jugendtorhüter erleben!
»Doch die Seele erinnert sich immer an diese Grenzerfahrung.«
Als 17-jähriger Schüler, mit einer Sondergenehmigung vom Deutschen Fußball-Bund, unterschrieb Robert Enke bei Carl Zeiss Jena
einen Profivertrag für die Zweite Liga. Mutter und Vater begleiteten ihn ins Büro des Vereins. Ernst Schmidt, der Geschäftsführer,
und Hans Meyer, der Trainer, erwarteten sie. Sein spezieller Hang, ein Gespräch sofort mit launigen Ansichten zu dominieren,
würde Meyer später zu einem Entertainer der Bundesliga machen. In der Geschäftsstelle hatte er dem 17-jährigen Torwart auch
gleich etwas von Jenas mythischem Torhüter der Fünfzigerjahre zu erzählen. »Der Harald Fritzsche war hier über zehn Jahre
lang an keinem einzigen Tor schuld«, sagte Meyer. »Zumindest, wenn man ihn fragte.«
Der Vater horchte auf. Wusste Meyer von Roberts quälerischen Selbstvorwürfen nach Fehlern? Wollte der Trainer ihm eine Botschaft
schicken? Mach dich mal nicht verrückt.
|30| Robert Enke teilte seine Leben. Er bekam in der Schule Einzelunterricht, um vormittags als Ersatztorwart mit der Zweitligaelf
trainieren zu können, er war jetzt ein Profisportler mit all dem Ernst, mit all dem Nichtabsteigendürfen des Berufs – und
gleichzeitig begann sonntags am Jenaer Westbahnhof mit Teresa eine unbeschwerte Jugend.
Sie kampierten bei seiner Mutter auf einer Matratze im Wohnzimmer und sagten ihr, sie müssten für das Abitur lernen. Manchmal
gingen sie abends aus, er trank vielleicht ein Bier mit Limonade, »und ich tanzte auf den Tischen«, sagt Teresa, was vermutlich
nicht wörtlich zu nehmen ist. Doch er fühlte, dass sie die Lebensfreude besser zeigen konnte.
Ihr ging alles so leicht von den Lippen, die Herzlichkeit, die Neugierde, die Entscheidungsfreudigkeit. Er glaubte, sie sei
viel stärker als er.
»Ich habe nie gelernt, so zu feiern wie du«, sagte er, als ob er sich verteidigen müsste. Ihr gefiel gerade sein zurückhaltender,
sanfter Charme. Sein Gesicht war das des ewigen lieben Jungen.
Sie war mit zwei älteren Brüdern auf dem Dorf in Franken groß geworden, der Vater hatte ihnen allen seine Leidenschaft für
den Modernen Fünfkampf mitgegeben, Schwimmen, Fechten, Reiten, Schießen, Laufen. Zu Hause im Kinderzimmer schossen Teresa
und ihr Bruder heimlich mit der Luftpistole auf Playmobilmännchen, »schau mal, wenn du sie auf der Brust triffst, zerspringen
sie in tausend Teile«, sagte der Bruder, stolz über seine Entdeckung. Offiziell kam Teresa wegen des Sports nach Jena auf
das Gymnasium. Dass es auch darum ging, dem bayrischen Schulsystem mit dem verfluchten Latein zu entfliehen, musste sie ja
nicht sagen. »Zieh keine Markenklamotten an, damit du nicht als Besserwessi rüberkommst«, gaben ihr die Freunde aus dem Westen
mit auf dem Weg. »Und dann sah ich am ersten Tag an der neuen Schule, dass sie nur Markenklamotten trugen.«
Ost und West, die Gegensätze, die in jener Zeit so viele sehen wollten, waren für sie kein Thema; nur gelegentlich Anlass
zum gemeinsamen Lachen. Als Robert den Heiligabend bei Teresas |31| Familie verbrachte, zeigte er wegen seiner atheistischen DDR-Erziehung bei der Weihnachtsgeschichte Lücken. »Wer war denn
das, der Josef?«
Sein Fußballsport interessierte Teresa wenig. Fußball stand für sie für enttäuschende Teenager-Samstagabende, »wenn ich zu
Hause die Serie Beverly Hills schauen wollte und nicht konnte, weil meine Brüder den Fernseher wegen der Sportschau in Beschlag
nahmen«.
Auch deshalb erzählte er ihr gar nicht von seinen ersten Profispielen, bis sie irgendwann, viel später, danach fragte. Er
fand, darüber rede man nicht von sich aus, das sei Angeberei.
Carl Zeiss Jena hielt sich bemerkenswert gut in der Hinrunde der Saison 1995/96. Im Mittelfeld fiel gelegentlich ein 21-Jähriger
namens Bernd Schneider durch seine Eleganz auf; ein paar Jahre später würde er als der technisch beste deutsche Fußballer
gelten. Die Elf hatte sich in der Tabelle im vorderen Mittelfeld eingependelt, als es im Herbst zwei heftige Niederlagen hintereinander
setzte, 1:4 in Duisburg, 0:4 gegen den VfL Bochum. Der Torwart Mario Neumann
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