Robert Enke
sich jahrzehntelang sein Ruf,
er sei einer der Besten.
Der Flippi besuchte die Enkes in Jena. Ein Mann mit fleischigen Unterarmen und hemdsärmligen Umgangsformen, sparte er nicht
mit Anekdoten, wie er den Günter damals zu Real Madrid gebracht habe und den Lothar zu Inter Mailand. Es war eine Zeit, in
der noch kaum ein Jugendspieler einen Berater hatte, und da bot sich dieser Mann aus den höchsten Sphären des Fußballs Robert
Enke an. Ein bisschen fühlten sich die Enkes geehrt. Recht sympathisch war der Flippi in seiner launigen Art auch. Sie sahen
darüber hinweg, dass er am Ende dann doch recht plump wurde. »Wenn wir ins Geschäft kommen«, raunte Pflippen dem Vater zu,
»schenke ich Ihnen ein kombiniertes Telefon-Fax. Und«, er wandte sich an Robert, »du bekämst ein Auto von mir.«
Noch vor der mündlichen Abiturprüfung in Geografie, Thema: Gesteine, unterzeichnete Robert Enke im Mai 1996 einen von seinem
Berater Norbert Pflippen ausgehandelten Dreijahresvertrag beim Erstligisten Borussia Mönchengladbach.
Einige Zeit zuvor hatte auf der A2 von Dortmund Richtung Osten der Motor eines kleinen Peugeots Funken geschlagen. |37| Dann war unter der Motorhaube Rauch aufgestiegen. Mit so einem Auto zu fahren sei lebensgefährlich gewesen, das Öl und Kühlwasser
seien leer, Ventile verstopft, erklärte der ADAC-Pannenhelfer den Enkes. Torsten Ziegner und Mario Kanopa waren nach einem
Jugendländerspiel in Bocholt auch an Bord.
Dafür könne er aber nichts, rief der Flippi, dass sich der Gebrauchtwagen, den er Robert Enke geschenkt hatte, in solch einem
Zustand befand.
|38| ZWEI
Der Knall
Er lag am Boden, den Kopf im stellenweise schon braunen Gras. Er richtete den Blick auf, und in drei Metern Entfernung, auch
auf Höhe der Grashalme, warteten zwei graublaue Augen auf ihn. Na, komm schon, sagten die Augen, starr vor Konzentration:
Dir werde ich es zeigen.
Sie sollten sich gemeinsam aufwärmen.
Bäuchlings lagen sie sich im Strafraum des Trainingsplatzes gegenüber und warfen sich beidhändig den Ball zu. Ihre Körper
waren wie biegsame Wippen, rhythmisch schwangen sie hoch und runter, nur ein kurzes, ersticktes Klatschen war zu hören, wenn
der Ball im weichen Schaumstoff ihrer Torwarthandschuhe versank. Es reicht doch, dachte sich Robert Enke nach einigen Minuten,
es ist doch nur Aufwärmen, warum hört er nicht endlich auf?
Robert Enke brauchte eine Woche in Mönchengladbach, um zu begreifen, dass Uwe Kamps nie aufhören würde. Er wollte ihn, Enke,
den neuen Ersatztorwart, den potenziellen Rivalen, aufgeben sehen; ihn besiegen, in der kleinsten Aufwärmübung, jeden Tag.
Kamps hatte bereits über 300 Bundesligapartien für Borussia Mönchengladbach bestritten, er war 32, der Liebling der Fans und
eigentlich, nach dem Training, doch umgänglich. Robert Enke war 19, der dritte Torwart, ein Junge. Er sollte in den ersten
Jahren von Kamps lernen, und irgendwann würde er dann reif für die Nummer eins sein, hatte ihm Dirk Heyne gesagt, der Torwarttrainer,
wegen dem er die Borussia anderen Bundesligisten vorgezogen hatte, der ihm sympathisch und kompetent erschien.
|39| Er schaute zu Heyne. Der Torwarttrainer schwieg. Aber er hatte doch gesehen, was Kamps machte!
»Okay«, sagte der Torwarttrainer, »jetzt schießt euch den Ball auf Brusthöhe zu.«
Kamps schoss und schoss immer härter, immer fester, immer schneller. Er wollte sehen, wie Enke den Ball fallen ließ.
Abends, mit Abstand zum Training, lachte Robert Enke innerlich über die Erlebnisse, nicht ohne Sympathie für Kamps, was für
ein Typ. Am nächsten Morgen, auf dem Weg zum Training, erschien ihm die Sache wieder ernst. Er fragte sich, ob ein Bundesligatorwart
so sein musste wie Kamps, und vor allem, ob er jemals so sein könnte.
Druck machen war das Bundesligamotto der Neunziger. Immer mussten alle Druck machen, der Trainer den Spielern, die Ersatzspieler
dem Trainer über die Presse, der Ersatztorwart der Nummer eins, die Nummer eins den Ersatztorhütern und der Sportdirektor
sowieso allen. Der Einzige, der Robert Enke in Jena jemals unter Druck gesetzt hatte, war er selbst gewesen.
Manchmal ging er nach dem Training in Mönchengladbach in den Kraftraum, weil man ihm sagte, das sei wichtig, weil das die
meisten Mitspieler taten. Er hatte sich früher praktisch nie an die Fitnessmaschinen gesetzt, sie bedeuteten ihm nichts. Er
musste nicht zusätzlich trainieren, er hatte das Talent. Im
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