Das Bienenmaedchen
PROLOG
Süd-London, März 2000
Lautlos wie ein Gespenst schlüpfte Beatrice in die Kapelle und fand einen Platz in einer der hinteren Bankreihen. Orgelmusik ertönte, aber sie nahm sie kaum zur Kenntnis. Sie setzte ihre Brille auf und warf einen Blick auf das Blatt mit dem Verlauf des Gottesdienstes, das ihr der Kollektensammler gegeben hatte. Auf der Vorderseite war ein Foto von Angelina abgebildet, das Beatrice geradewegs zurück in die Vergangenheit zog.
Sie erinnerte sich gut an dieses Bild. Es war ein Schnappschuss, den sie selbst aufgenommen hatte, in Cornwall am Strand von Carlyon, kurz vor dem Krieg. Angelina war damals siebzehn gewesen. Angies Mutter hatte das Foto rahmen lassen, und fortan stand es auf dem Flügel in Carlyon Manor. Angelina strahlte Beatrice daraus über die Jahre hinweg an, lachend, schön und in Sonnenlicht getaucht.
Als sie in diese leuchtenden Augen starrte, fühlte Beatrice, wie eine heiße Lava der Sehnsucht und Verbitterung in ihr aufstieg. Sie legte das Blatt mit der Vorderseite nach unten neben sich auf die Kirchenbank. Sie hatte geglaubt, sie hätte diese Gefühle schon vor langer Zeit überwunden – niedergerungen in vielen Nächten voller Qualen, aber jetzt musste sie erkennen, dass sie sich geirrt hatte. Hinter der Fassade der praktischen Vernunft wüteten noch immer die Leidenschaften der Vergangenheit. Sie schloss die Augen und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Sie hätte nicht herkommen sollen – aber es gab da jemanden, den sie unbedingt sehen wollte.
Beatrice öffnete die Augen und schaute sich um. Die Kirchenbänke im Krematorium waren fast gefüllt, aber nicht ganz. Als ihr Blick über die Reihen wanderte, stellte sie fest, dass es meist Leute in ihrem Alter waren, die Frauen korrekt mit Hüten, die alten Männer rotgesichtig oder eingefallen in dunklen Anzügen, darunter ein paar – die alten Schlachtrösser – mit glitzernden Orden. Es gab niemanden, den sie wiedererkannte. Schließlich erlaubte sie sich, nach vorn zu schauen. Sie richtete sich ein wenig auf und reckte den Hals. Am Kopfende des Kirchenschiffs stand der Sarg, der hoch mit blauen und weißen Blumen bedeckt war. Ihre Augen glitten darüber hinweg. Ihr Puls beschleunigte sich.
Denn dort waren sie. Sie mussten es sein, obwohl es schwierig war, sie von hinten zu erkennen. Die Frau mittleren Alters hatte krause, blond gefärbte Haare, die im Nacken von einem Band zusammengehalten wurden, und war in eine extravagant geschnittene Jacke aus mitternachtsblauem Knautschsamt gekleidet. Der Mann trug einen rabenschwarzen Mantel, und sein dunkles Haar war, wie Beatrice zärtlich bemerkte, von grauen Strähnen durchzogen. Seltsam, dachte sie, dass Tom auf die sechzig zugeht! Zwischen den beiden saß ein junges Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren, das sich ständig umdrehte und in der Kapelle herumschaute, sodass Beatrice reichlich Gelegenheit hatte, das spitze Kinn, die Stupsnase und den lebhaften Ausdruck in den braunen Augen mit den kurzen Wimpern genau zu betrachten. Das also war Lucy.
Nun erhoben sich die Trauergäste, der Geistliche eilte mit wehendem weißen Gewand nach vorn, und der Organist stimmte das erste Lied an. Beatrice stützte sich auf den Rücken der Kirchenbank vor ihr und versuchte, sich auf die Worte zu konzentrieren. Aber sie fand nicht die Kraft zum Singen.
Die tröstenden Worte des Gottesdienstes spülten über sie hinweg. Beatrice nahm sie kaum wahr – sie war völlig darin versunken, die kleine Familie in der ersten Reihe zu beobachten. Lucy streichelte den Arm ihres Vaters, doch er nahm es kaum zur Kenntnis. Die Art, wie er dastand – die Schultern hochgezogen, den Kopf gebeugt –, hatte etwas Einsames.
Alle außer Tom setzten sich wieder. Er ging nach vorn zum Lesepult, sodass sie zum ersten Mal sein Gesicht sehen konnte. Wie sehr er seinem Vater ähnelte! Die blasse Haut, die Art, mit der er sich langsam die Brille aufsetzte, die ruhige Ausstrahlung, als er sich seinem Publikum zuwandte. Doch als er schließlich zu sprechen begann, war es vollkommen seine eigene Stimme – tief und so leise, dass Beatrice sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen. Und was er zu sagen hatte, versetzte sie in Erstaunen.
»Meine Mutter Angelina Cardwell«, sagte Tom, »war eine der schönsten Frauen«, er lächelte seiner Frau und seiner Tochter in der ersten Reihe zu, »und sicherlich die tapferste Frau, die ich je gekannt habe.«
Das klang irgendwie nicht richtig. Beatrice hatte
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