Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
Worte: »Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten« in einem anderen Sinn als damals, wo ich dabei nur an meine Erlösung aus der Gefangenschaft dachte (denn wie groß auch die Insel war, auf der ich lebte, so war sie doch für mich ein Gefängniß im schlimmsten Sinne des Wortes). Nun aber, jene Stelle anders verstehend, suchte ich, in Furcht und Schrecken über die Sünden meiner vorigen Tage, nur Befreiung von dem Gewicht der Schuld, die auf meiner Seele lag. Mein einsames Leben bekümmerte mich nun nicht mehr. Ich bat nicht um und dachte nicht an Erlösung aus demselben; es schien mir Nichts im Vergleich zu jenem Elend. Und dies sei für alle meine Leser gesagt: daß, wenn sie zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen sind, sie die Erlösung von der Sünde als einen viel größeren Segen empfinden werden als die Befreiung aus der Trübsal.
Doch ich wende mich nun wieder zu meinem Tagebuch. Meine Lage war zwar jetzt so elend als früher, aber sie bedrückte meine Seele weit weniger. Meine Gedanken richteten sich durch Gebet und Lesen in der Schrift auf Dinge höherer Art. Ich fühlte einen Trost in mir, wie ich ihn vorher nie empfunden, und jetzt kehrte auch meine volle Kraft und Gesundheit zurück. Ich entschloß mich, mir Alles, was ich bedurfte, durch Arbeit zu verschaffen, und von nun an ein möglichst regelmäßiges Leben zu führen.
Vom 4. bis 14. Juli verwendete ich meine Zeit zu neuen ausgedehnteren Gängen mit meinem Gewehr. Es ist kaum zu glauben, wie sehr herunter und schwach ich mich anfangs dabei fühlte. Die Heilmittel, die ich gebraucht hatte, waren gewiß niemals vorher von Jemandem gegen das Fieber angewendet worden, und ich kann das Experiment auch Niemandem empfehlen. Denn wiewohl es mich von dem Fieber befreit hatte, war ich doch auch wieder dadurch sehr geschwächt worden und litt noch geraume Zeit hindurch in Folge desselben an Nervenzucken und Zittern. Ich erkannte jetzt auch, daß es meiner Gesundheit sehr nachteilig sei, während der Regenzeit auszugehen, besonders wenn der Regen von Wind und Sturm begleitet war. Sodann bemerkte ich, daß der im September und Oktober fallende Regen bei stürmischem Wetter mir viel gefährlicher war, als Sturm und Regen, wenn sie in der trockenen Zeit auftraten.
Ich befand mich jetzt schon über zehn Monate auf meiner einsamen Insel. Eine Möglichkeit, aus meiner trostlosen Lage befreit zu werden, schien mir nicht mehr vorhanden, weil ich fest glaubte, es habe noch nie ein menschliches Wesen außer mir einen Fuß auf diese Erde gesetzt.
Da ich jetzt meine Behausung hinlänglich gesichert zu haben meinte, spürte ich lebhaftes Verlangen, die Insel genauer kennen zu lernen und zu untersuchen, was für mir noch unbekannte Erzeugnisse darauf zu finden seien.
Ich begann diese Nachforschung am 15. Juli. Zunächst begab ich mich nach der kleinen Bucht, in die ich meine Flöße gesteuert hatte. Nachdem ich von dort aus den Fluß etwa zwei Meilen stromaufwärts verfolgt hatte, bemerkte ich, daß hier die Flut nicht weiter ging, und daß die Bucht sich in einem kleinen reißenden Bach von sehr frischem und klarem Wasser fortsetzte. Da es aber gerade die trockene Jahreszeit war, fand sich an einigen Stellen fast gar kein Wasser, oder es fehlte wenigstens eine sichtbare Strömung. An den Ufern des Baches traf ich auf liebliche grasreiche Wiesen, und an den höher gelegenen Uferstellen, welche das Wasser vermutlich nie erreichte, grünten zahlreiche Tabaksblätter auf starken und hohen Stengeln. Auch andere, mir aber unbekannte Pflanzen, die vielleicht, ohne daß ich es wußte, besondere gute Eigenschaften besaßen, fanden sich dort. Ich suchte vor Allem nach der Maniokpflanze, welche den Indianern in diesen Erdgegenden überall statt des Brotes dient, aber es war keine zu sehen. Dagegen bemerkte ich große Aloëstauden und etwas wildes, aus Mangel an Pflege verkümmertes Zuckerrohr.
Für diesmal begnügte ich mich mit diesen Entdeckungen und kehrte heim, indem ich bei mir überlegte, auf welche Art es mir gelingen könnte, die etwaige Trefflichkeit einer oder der anderen Pflanzenfrucht zu entdecken. Mein Nachdenken war jedoch fruchtlos. Ich hatte mich während meines Aufenthalts in Brasilien zu wenig mit der Beobachtung der Pflanzenwelt abgegeben, um aus dieser jetzt irgend welchen Nutzen ziehen zu können.
Am nächsten Tag, den 16. Juli, schlug ich wieder denselben Weg ein. Etwas weiter als früher vorgedrungen, stieß ich auf das Ende des Baches und der
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