Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
vermochte, ohne die ich nie ausging. Ich setzte mich daher nach wenigen Schritten auf die Erde nieder und blickte nach der See hinaus, die in völliger Stille vor mir lag. Jetzt stiegen allerlei Gedanken in mir auf, z. B. »Wie wunderbar ist doch diese Erde und dies Meer! Wer hat sie geschaffen? Wer bin ich, und wer sind alle die anderen Geschöpfe auf Erden und von wannen sind sie gekommen? Gewiß gibt es eine verborgene Macht, die Wasser und Land, Himmel und Erde gebildet hat, aber wo ist sie?« Und nun ergab sich die natürliche Antwort: »Gott hat Alles dies hervorgebracht!« – »Nun denn«, so dachte ich weiter, »wenn Gott Alles dies geschaffen hat, so regiert er auch Alles, und Nichts in dem weiten Umfang seiner Werke kann seiner Allwissenheit entgehen. Und weiter, wenn Nichts ohne sein Wissen geschieht, so weiß er auch, daß ich hier in dieser schrecklichen Lage bin, und wenn Alles auf seine Anordnung eintritt, so hat er auch Alles dies über mich verhängt.« Daran reihte sich unmittelbar die Frage: »Warum hat Gott dies so gefügt? Womit habe ich ein solches Geschick verdient?« Da aber schrak mein Gewissen alsbald wie vor einer Gotteslästerung zurück, und ich glaubte eine Stimme zu hören, die mir zurief: »Elender! Fragst du noch, was du verschuldet hast? Schau zurück auf dein schändlich vergeudetes Leben und frage dich lieber, was du nicht verbrochen hast! Frage, warum du nicht längst vernichtet bist! Warum du nicht auf der Rhede von Yarmouth ertrunken, nicht in dem Seegefecht mit dem Mann von Saleh getötet, nicht von den Bestien an der afrikanischen Küste gefressen oder hier ertrunken bist, als alle deine Reisegefährten untergingen. Willst du noch fragen, was du gesündigt hast?«
Diese Gedanken überfielen mich mit einer solchen Gewalt, daß ich wie niedergedonnert in düsterem Sinnen nach meiner Behausung zurückschlich. Ich hatte keine Lust zu schlafen, sondern saß in meinem Stuhl, nachdem ich beim Dunkelwerden meine Lampe angezündet hatte.
Jetzt fiel mir ein, daß die Brasilianer sich als eines Heilmittels in fast allen Krankheiten des Tabaks bedienen, und daß ich in einer meiner Kisten ein Stück einer Tabaksrolle, das völlig zubereitet war, sowie ein anderes noch in grünem und unfertigem Zustand befindliches aufbewahrte.
Die Erinnerung hieran, die mir ohne Zweifel der Himmel selbst eingegeben, trieb mich zu jener Kiste, in der ich ein Labsal für Leib und Seele fand. Ich öffnete sie, nahm den Tabak und, da die wenigen Bücher, die ich gerettet, auch dort lagen, auch eine der erwähnten Bibeln heraus, in welcher zu lesen ich früher weder Zeit noch Lust gehabt hatte. Beides legte ich auf meinen Tisch.
Da ich nicht wußte, wie der Tabak anzuwenden sei, machte ich verschiedene Versuche, um zu sehen, ob er mir auf eine oder die andere Weise helfen könne. Zunächst kaute ich ein Stück eines Blattes, fühlte mich aber davon, da der Tabak noch grün und kräftig und ich nicht daran gewöhnt war, wie betäubt. Außerdem weichte ich einige Stückchen etliche Stunden in Rum auf, in der Absicht, davon einen Schluck beim Schlafengehen zu nehmen. Endlich verbrannte ich eine Portion auf Kohlen und hielt meine Nase in den Dampf, so lange ich es aushalten konnte.
In den Pausen dieser Beschäftigung griff ich nach der Bibel und fing an, darin zu lesen. Doch war mir der Kopf von dem Tabaksrauch zu verwirrt, um lange dabei zu bleiben. Als ich das Buch aufs Geratewohl geöffnet, fiel mir die Stelle zuerst ins Auge: »Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen«.
Diese Worte paßten so sehr für meine Lage, daß sie einen gewissen Eindruck auf mich hervorbrachten, jedoch war dieser für jetzt noch nicht so tief als der, den dieselben Worte später in mir hervorriefen. Denn das Wort Errettung schien mir noch, sozusagen, ohne Sinn für mich; die Erlösung aus meiner Einsamkeit dünkte mich so fern und so unmöglich, daß ich, gleich den Kindern Israel, die, als ihnen Fleisch verheißen wurde, sprachen: »Kann Gott uns einen Tisch in der Wüste decken?« sagte: »Vermag auch Gott selbst mich wohl zu erretten aus dieser Öde?« Da die folgenden Jahre hindurch sich auch wirklich kein Hoffnungsschimmer in dieser Hinsicht zeigte, so kehrte jener Gedanke noch oft in mir wieder. Gleichwohl aber gaben mir jene Worte von jetzt an Veranlassung zu häufigem Nachdenken.
Weil es inzwischen spät geworden war und die Betäubung durch den Tabak mich schläfrig gemacht
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