Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
zu erfahren, geglaubt hatte. Meine Gemütsruhe, meine Ergebung in Gottes Willen und das Harren auf gnädige Fügung des Himmels schienen damals gänzlich aus mir gewichen zu sein. Ich war nicht im Stande, meine Gedanken von der Reise nach dem Festland abzuwenden, so heftig und unwiderstehlich stürmten sie auf mich ein.
Mehre Stunden hindurch dauerte diese Aufregung meiner Seele. Mein Blut geriet in fieberhafte Hitze, und die Pulse schlugen mir heftig. Endlich überkam meine erschöpfte Natur ein gesunder Schlaf. Man sollte denken, daß ich von meinen Plänen geträumt hätte, aber das geschah nicht. Mein Traum zeigte mir vielmehr Folgendes: Ich hatte am Morgen, wie gewöhnlich, meine Festung verlassen. Da beobachtete ich am Strande, wie elf Wilde in zwei Canoes landeten und einen anderen Wilden mit sich schleppten, den sie schlachten wollten, um ihn zu fressen. Plötzlich sprang der Gefangene davon und rannte fort, um sich das Leben zu retten. Es schien mir im Traume, als komme er zu dem kleinen Gebüsch an meiner Festung. Ich zeigte mich ihm und ermutigte ihn lächelnd, da ich ihn allein sah und nicht wahrnahm, daß die Anderen ihn auf seiner Flucht verfolgten. Er kniete vor mir nieder und schien mich um Hilfe anzuflehen. Ich zeigte ihm meine Leiter, ließ ihn übersteigen und führte ihn in meine Höhle. Von da an war er mein Diener, und nun, wo ich mir diesen Mann gewonnen, sagte ich zu mir selbst: Jetzt darfst du dich getrost nach dem Festland hinwagen. Dieser Bursch soll dir als Lootse dienen; er wird dir angeben, wie du dir Lebensmittel verschaffen kannst, welche Orte du meiden mußt, um nicht gefressen zu werden, wohin du dich wagen darfst und wohin nicht. Mitten in diesen Gedanken wachte ich auf. Der Eindruck der Freude über meine geträumte Aussicht auf Errettung war so unaussprechlich stark, daß die Enttäuschung, welche folgte, als ich zu mir selbst kam und einsah, daß ich nur geträumt hatte, mich in die tiefste Trauer versetzte.
Indes zog ich mir aus diesem Vorgang den Schluß, daß die einzige Möglichkeit, wie ich einen Fluchtversuch wagen dürfe, davon abhänge, daß ich einen Wilden in meine Gewalt bekäme. Das konnte aber nur mit einem der Gefangenen geschehen, die auf die Insel gebracht würden, um dort gefressen zu werden. Diesem Plan stellte sich jedoch wiederum eine große Schwierigkeit entgegen. Er schien nämlich nur dadurch ausführbar, daß ich einen ganzen Haufen von Wilden angriff und alle bis auf einen tötete. Dies war nicht nur ein verzweifeltes Unternehmen, das leicht fehlschlagen konnte, sondern ich machte mir auch aufs Neue Skrupel über die Rechtlichkeit desselben. Ich bebte vor dem Gedanken zurück, so viel Blut zu vergießen, wenn es auch für meine Rettung geschähe. Es ist unnötig, die schon früher dargelegten Bedenken, die ich gegen ein solches Vorhaben hegte, hier zu wiederholen. Aber obgleich ich jetzt darin ein neues Motiv zu haben glaubte, daß ich mir vorstellte, jene Menschen seien meine Todfeinde und würden mich fressen, wenn sie könnten, daher es Notwehr im äußersten Grade sei, sie anzugreifen, und daß ich dabei nur zu meiner Selbsterhaltung handle, wenn ich so verführe, als ob sie mich wirklich schon angegriffen hätten, so schreckte mich der Gedanke, Menschenblut um meiner Befreiung willen zu vergießen, doch so sehr, daß ich geraume Zeit mich nicht mit ihm befreunden konnte. Dennoch gewann nach langen inneren Kämpfen das unendliche Verlangen nach Befreiung die Überhand, und ich beschloß, mich, koste es was es wolle, eines jener Wilden zu bemächtigen. Daher galt es jetzt, über den schwierigen Punkt nachzudenken, wie dieser Plan auszuführen sei. Da ich aber kein zweckmäßigeres Verfahren zu ersinnen vermochte, nahm ich mir endlich vor, Nichts weiter zu tun, als mich auf die Lauer zu legen, auszukunden, wenn die Wilden aus Land kämen, und dann, das Übrige dem guten Glück überlassend, diejenigen Maßregeln zu ergreifen, welche die Gelegenheit von selbst darbieten würde.
Diesen Entschluß im Kopfe, stellte ich mich so oft als möglich auf Posten, und zwar eine so lange Zeit, daß ich es endlich herzlich müde wurde. Über anderthalb Jahre harrte ich und begab mich fast täglich während dieses Zeitraums nach der Westseite und der Südwestspitze der Insel, um nach den Canoes zu spähen, aber keins ließ sich blicken.
Das wirkte zwar sehr entmutigend auf mich, aber meine Unruhe steigerte sich dadurch nur. Statt daß früher meine Sehnsucht durch
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