1331 - Hochzeitskleid und Leichenhemd
Bald würde sie heiraten, und dieses bald war schon heute, denn die Tageswende war erreicht.
Marietta war sehr aufgeregt zu Bett gegangen und schließlich nach einer recht langen Zeit eingeschlafen. Jetzt setzte sie sich langsam auf und stellte fest, dass sie fror. Über die bevorstehende Hochzeit machte sie sich keine Gedanken, sie wunderte sich über das kalte Gefühl auf ihrer Haut und dachte darüber nach, wieso es dazu hatte kommen können.
Natürlich schaute sie zum Fenster. Das war jedoch geschlossen.
Die Kühle der Nacht hatte sie also nicht erreichen können. Der kalte Hauch war trotzdem keine Einbildung gewesen. Sehr deutlich hatte sie ihn mitbekommen. Als wäre eine kalte und sehr große Hand von unten nach oben über ihren Körper gestrichen.
Oder lag es an ihr? An der Aufregung? An der großen Nervosität vor dem alles entscheidenden Tag?
Die junge Frau hatte keine Ahnung. Sie spürte nur das heftige Herzklopfen, und auch das Gefühl der Furcht wollte einfach nicht weichen. Sie saß im Dunkeln im Bett. In der Wand malte sich der Umriss des Fensters ab. Natürlich war niemand eingestiegen. Ihr Bräutigam erst recht nicht. Der hatte so etwas nicht nötig. Er schlief im anderen Trakt des Hauses. Sie hatten sich diesen altmodischen Spaß gemacht.
Durch die Tür hätte der Kälteschauer auch nicht in den Raum hineinfließen können. Sie war geschlossen und blieb es auch. Es gab auch keine Klimaanlage, die die Kälte hätte bringen können. Es war und blieb alles völlig normal.
Und trotzdem war es anders geworden. Davon ließ sich Marietta Harper nicht abbringen. Sie besaß auch nicht die Nerven, sich jetzt wieder hinzulegen und zu schlafen. Sie wollte den Dingen auf den Grund gehen. Außerdem war sie hellwach.
Die Braut verließ das Bett. Bekleidet war sie mit einem Nachthemd, das ihr bis zu den Waden reichte. Mit den nackten Füßen stand sie auf den Holzbohlen und stellte fest, dass diese nicht so kalt waren wie sie angenommen hatte.
Einige Male tief durchatmen. Sich auf sich selbst konzentrieren.
Ruhig bleiben, dann die Drehung und die Sicht auf das Fenster. Marietta wollte es wissen und nach draußen schauen. Es konnte durchaus sein, dass sich dort etwas abspielte, das sich auch bis in ihr Zimmer hineingestohlen hatte. Sie schlüpfte in die flachen Pantoffeln und ging zum Fenster.
Es war groß.
Alles war groß in diesem Schloss, das als eine Anlage bezeichnet werden konnte und aus mehreren Bauten bestand. Da gab es auch die ehemaligen Ställe, die durch einen Umbau zu Hotelzimmern geworden waren.
Dort wohnte die Braut nicht. Ihr stand die kleine Suite im Schloss zu.
Das große Fenster war geschlossen und hatte in der Mitte einen breiten Rahmen. Um es zu öffnen, musste Marietta erst einen Riegel lösen. Danach drehte sie den Griff. Sie hatte große Mühe, ihn zu bewegen und nahm beide Hände zu Hilfe. Danach klappte es, sodass sie das schwere Fenster aufziehen konnte.
Es schwang ihr entgegen, und sie trat zur Seite, damit sie davon nicht berührt wurde.
Der Blick in die Nacht und das gleichzeitige Einatmen einer wunderbar kühlen Luft.
In dieser Situation glaubte Marietta, am Eingang zu einer fremden Welt zu stehen.
Der klare Himmel. Die Sterne. Verteilt auf einem unendlichen Samtkissen, das blau und grau schimmerte. Der schwache Wind, der über den Schlosshof und über die Dächer der abgestellten Autos hinwegwehte.
Die meisten Fahrzeuge gehörten den Hochzeitsgästen, die alle schon eingetroffen waren, damit sie am späten Vormittag an der Hochzeit teilnehmen konnten.
Auch jetzt erwischte sie wieder ein Schauder. Der allerdings war nicht mit dem zu vergleichen, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte.
Sie empfand ihn als natürlicher, und das war der andere nicht gewesen. Wenn sie jetzt näher darüber nachdacht, kam er ihr sogar trocken vor, eben anders kühl.
Der Schlosshof lag eingepackt in diese nächtliche Stille. Die Mauern der einzelnen Gebäude standen da wie mächtige Riesen, die darauf warteten, eine menschliche Gestalt geschnitzt zu bekommen.
Nur hinter wenigen Fenstern schwamm ein schwacher Lichtschein, ansonsten waren die Fassaden dunkel.
Marietta beugte sich vor. Sie hätte eigentlich beruhigt sein können, was sie jedoch nicht war. Sie konnte sich ihre innere Unruhe selbst nicht erklären.
Ein letzter Blick nach rechts und nach links. Und auch einer direkt an der Fassade entlang ergab keine neuen Einsichten. Alles blieb, wie es war. Kein Mensch bewegte sich über
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