Rockoholic
wie ich noch nie in meinem Leben geschluchzt habe. Ich schaue zu, wie er sich seine graue Kapuze über den Kopf zieht und die hintere Tür des Wagens öffnet, meinen Rucksack hineinschleudert und ohne einen Blick zurück einsteigt. Die Bremslichter erlöschen. Das Auto rollt los.
»Das ist nicht fair«, flüstere ich in den sternenlosen Himmel. Ich schüttele den Kopf. Ich reiÃe mir die Tiara aus meinen wirren Kräusellocken und sinke zu Boden. Ich kauere mich zusammen und weine, als würde ich nie wieder aufhören können. Ich höre Schritte. Schnelle Schritte. Ich blicke auf. Jackson kommt angerannt. Das weiÃe Auto hat an der Ecke angehalten, die Bremslichter leuchten, die hintere Tür steht sperrangelweit offen.
Er kommt zu mir gerannt. Er kommt zu mir zurück.
Ich stehe auf. Er wirft sich in meine Arme und drückt mich ganz fest. Er fühlt sich so stark an, nicht so wie noch vor zwei Wochen, als er ganz schlaff war und kaum aufrecht stehen konnte. Sein Körper steht unter Spannung und strotzt von aufgestauter Energie, die nur darauf wartet, sich zu entladen. Ich will ihn niemals wieder loslassen. Wenn ich loslasse, ist es Schluss, aus und vorbei. Er wird einfach nur Thomas sein und ich werde einfach nur Jody sein. Und ich werde ihn nie wiedersehen. Ich halte ihn fest in den Armen, so wie ich Opa hätte festhalten sollen, bevor er mich für immer verlassen hat.
»Ich will dich nicht loslassen«, flüstere ich ihm schniefend ins Ohr. »Bitte, sag nicht, dass ich loslassen muss.« Ich presse mich fester an ihn, atme seinen Geruch ein, versuche mir jeden Sinneseindruck einzuprägen, damit ich ihn immer und immer wieder heraufbeschwören kann, aber Bilder von Opa flackern in meiner Erinnerung auf und verwirren mich. Ich spüre, wie er von mir wegbröselt wie ein Klumpen Sand in meiner Faust. Er kam zu mir als Jackson James Gatlin, Sänger, geboren am 3. September, bildschön, groÃe blaue Augen, braune Wuschelhaare, Abstinenzler, Vegetarier, Stephen-King-Fan, aus zerrüttetem Elternhaus, Bücherwurm, ein fleischgewordener Mädchentraum. Er verlässt mich als Thomas Gordon. Und mehr weià ich jetzt nicht mehr über ihn.
Er ist jetzt Mr Nobody. Genau wie er es wollte.
Er sieht mich an. Er geht ein paar Schritte rückwärts, dreht sich um, läuft zu dem weiÃen Auto und springt hinein.
Ich habe keine Ahnung, ob ihn der Fahrer des weiÃen Autos über den Kanal schleusen wird. Ich habe keine Ahnung, ob er es bis in die Schweiz schaffen wird, um sein Geld zu holen. Um dorthin zu kommen, wo er hinmuss. Ich weià es nicht. Ich weià nur, wie sich diese Fans gefühlt haben, als sie Blumen von der Brücke in das trübe Wasser warfen. Fans, die die Nummer der Telefonseelsorge für Suizidgefährdete anrufen. Fans, die losgerannt sind und sich Tattoos haben stechen lassen, damit sie nicht mehr diesen inneren Schmerz spüren müssen, damit sie eine andere Art von Schmerz empfinden als dieses unerträgliche Verlustgefühl, das ich jetzt empfinde, während ich dem davonfahrenden Auto hinterherschaue. Ich bin auch nicht anders als diese Fans, aber mir wurde so viel mehr zuteil als ihnen. Ich bin die Einzige von ihnen, die weiÃ, dass er nicht tot ist. Als ich ihn entführt habe, war ich wie im Rausch, aber jetzt leide ich unsagbare Qualen. Mein Hirn fühlt sich an wie ein Papierknäuel voller Traurigkeit und mir kommt wieder Opa in den Sinn. Ich hätte auch ihn umarmen sollen. Ich hätte ihn zum Abschied küssen sollen. Ich stehe schluchzend da â mit weit offenem Mund, bereit, etwas in diese Welt hinauszuschreien, die mir so leer und düster und grausam erscheint, aber ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Alles tut so dermaÃen weh. Opa. Jackson. Mac. Sie alle sind Dreh- und Angelpunkt meiner Welt. Zwei von ihnen sind für immer fort und einer hasst mich. Es ist nichts mehr übrig. Meine Welt stürzt mit Wums in sich zusammen und es ist niemand da, der das verhindert.
Ich drehe mich zu der Brücke um. Zum Fluss. Der Fluss, in den ich Jackson geschubst habe, kurz nachdem er hier angekommen war. Als er mich so abscheulich behandelt hatte. Ich wünschte, er hätte mich jetzt auch abscheulich behandelt. Ich wünschte, er hätte mich nicht umarmt. Das hat alles noch viel schlimmer gemacht. Seine Umarmung war zwar nicht so liebevoll wie die von Mac, aber sie hat mich
Weitere Kostenlose Bücher