Römer im Schatten der Geschichte
Leuten zu tun haben. Auch die Geschäftsleute im Roman des Apuleius und in Petrons
Satyrica
werden als normale Menschen geschildert; sie sind nicht stigmatisiert.
Ebenso wenig lassen sich in der normalen Bevölkerung Zeichen für die Verachtung der Handwerker ausmachen, die in der Oberschicht geläufig war. Cicero etwa erklärt: »Auch alle Handwerker treiben ein niedriges Gewerbe« (
De officiis
–
Vom rechten Handeln
1,42,15). Der Vater des Schriftstellers Lukian dagegen kann als exemplarisches Beispiel für die Ansicht der Mittelschicht vom Handwerk gelten. Nach dem Willen seines Vaters sollte Lukian zwar eine gewisse Bildung genießen, doch auf längere Sicht bei einem der Brüder seiner Frau in die Lehre gehen und ein Handwerk erlernen. Die Reaktion Lukians, der gegen diesen Plan aufbegehrte, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Vater den Handwerksberuf für vorteilhaft hielt. Lukians Familie sah im Leben eines Handwerkers nichts Beschämendes. Tatsächlich spielte sogar Lukian selbst mit dem Gedanken, bis ihm im Traum die »Gelehrsamkeit« erschien und ihn davon überzeugte, dass die Ansicht der Oberschicht vom vulgären Handwerk richtig sei und dass er eine Ausbildung zum Rhetor und Gelehrten durchlaufen solle.
Ein Ton des Stolzes, gemischt mit Trauer, spricht auch aus der Grabinschrift des Vireius Vitalis Maximus. Er hatte Vireius Vitalis adoptiert, »einen Burschen mit vielversprechender Begabung für den Beruf des Handwerkers«, hatte ihn in diesem Metier ausgebildet und gehofft, der Junge würde sein Geschäft weiterführen und ihn im Alter unterstützen. In Artemidors
Traumbuch (oneirokritika)
wie auch im
Carmen Astrologicum
des Dorotheos von Sidon sind verschiedene handwerkliche Tätigkeiten und geschäftliche Situationen erwähnt, und nichts deutet auf eine Geringschätzung der so Beschäftigten hin.
In der Welt der gewöhnlichen Römer hatten Handwerker und Händler ihren Platz, ohne dass man ihnen Vorurteile entgegenbrachte. Zahlreiche Grabinschriften vermerken Beruf oder Arbeit der Verstorbenen.Die Arbeit ist Teil der Identität des Widmungsträgers, denn fast alle Epitaphe (98 %) stammen entweder von den Verstorbenen selbst oder von ihrer Familie – fast keine von Berufs- oder Arbeitskollegen oder von einem Schutzherrn
(patronus)
. In der Oberschicht findet die Arbeit natürlich keine Erwähnung, denn für sie ist Arbeit kein Anlass zum Stolz. Alle anderen jedoch – Freie, Freigelassene und Sklaven – räumen ihr in den Inschriften einen wichtigen Platz ein. Damit ist klar belegt, dass eines der Kennzeichen des geistigen Habitus der gewöhnlichen Menschen die Wertschätzung der Arbeit war. Hier liegt einer der auffälligsten Unterschiede zwischen der Sichtweise der Elite und der des einfachen Mannes. Die Voreingenommenheit einer Elite, die auf Arbeit und Handel herabsieht, hilft das Schattendasein des einfachen Mannes zu erklären. Die Vorstellung, dass Arbeit in der Welt der Römer keinen Wert darstellte, muss also revidiert werden.
Obwohl der hierarchische Charakter der Gesellschaft Vorurteile quasi voraussetzte, ging die moralische Welt des normalen Römers nicht in einer Ansammlung von Stereotypen auf. Es lohnt sich, ein Bild dieser Welt zu entwerfen, obwohl natürlich nicht notwendig jede moralische Anschauung im Alltagsleben des Einzelnen ihren Ausdruck fand. Ich fasse die Hauptpunkte dieser moralischen Welt gewöhnlicher Menschen kurz zusammen: Die Ehe wird geschätzt; Monogamie ist die Norm. Eheliche Treue ist wichtig. Ehefrauen müssen treu, verfügbar und verführerisch, Ehegatten tugendhaft sein. Die philosophische Auffassung, dass Sexualität nicht mehr als eine beiläufige Beschäftigung sei, der man ohne besonderes Vergnügen allein zum Zweck der Fortpflanzung obliege, teilen die Männer nicht. Keuschheit weiß man zu würdigen, ohne damit homosexuelle Beziehungen und gelegentliche männliche Untreue als inakzeptabel auszuschließen. Der Gang zur Prostituierten ruft keine moralische Empörung hervor, wie unten (Kap. 7) ausführlicher dargestellt wird. Scheidung ist möglich und wird akzeptiert. Lügen, Betrug und Diebstahl sind grundsätzlich verwerflich. Bei Geschäften innerhalb der Verwandtschaft sowie mit Gleich- oder Höherrangigen wird Ehrlichkeit erwartet; bei Geschäften mit anderen Partnern hingegen sind die Umstände vieldeutig und »Raffinesse« und Betrug zur persönlichen Bereicherung erlaubt. Jedermann soll fair und gerecht behandelt werden, wobei
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