Röslein rot
Votivbilder, aber mit der Zeit wurden mir die Motive zu fromm. Man konnte nicht gut in alle Ecken den heiligen Sebastian hängen, auch brennende Herzen und >Maria hilf!< überm Bett gefielen mir nicht mehr. Ich begann, frei zu malen.
Meine Kinder Lara und Jost schleppten mir vom Sperrmüll die geschliffene Glastür eines Küchenschranks an, Reinhard brachte die Erkerfenster eines Abbruchhauses mit, die er mir passend zurechtschnitt.
Anfangs unterstützte mich die ganze Familie. Ich malte die vier Jahreszeiten, dörfliche Feste, Hochzeiten im Mai, Hansel und Gretel. Meiner Freundin Silvia, für die nichts fein genug ist, schenkte ich vier rotberockte Teilnehmer einer Fuchsjagd, darunter sie selbst auf ihrem asthmatischen Schecken. Lucie, die von Beruf Lehrerin ist, bekam eine altmodische Schule mit niedlichen ABC-Schützen, Pulten, einer Tafel und einem Rechenbrett. Gelegentlich arbeitete ich mit der Lupe, denn meine Bilder waren meist kleinformatig. Es war wohl die glücklichste Zeit meines Lebens, wenn Mann und Kinder morgens das Haus verließen und ich am Küchentisch zu malen anfing. Ich vergaß mich selbst und mein Los als geplagte Ehefrau und Mutter, ich vergaß auch gelegentlich, daß es Zeit zum Kochen war.
Eines Abends überraschte mich Reinhard mit dem Vorschlag, sich selbständig zu machen; schon lange pflegte ihm sein Chef die unangenehmsten Aufgaben - zum Beispiel den Windmühlenkampf mit den Bauämtern - zuzuschieben. Ich fand die Idee gut, wenn auch riskant. Einige ihm gewogene Kunden würde Reinhard übernehmen können, hoffte er.
Anfangs würde ein kleines Büro reichen, natürlich mit erstklassigen Lichtverhältnissen. Telefon, Fax und einige Möbel, ein Schild an der Tür - eine Zeichenmaschine besaß er ja bereits -, das würde nicht die Welt kosten. Das computergestützte Zeichenprogramm konnte noch etwas warten.
»Angestellte?« fragte ich.
Reinhard schüttelte den Kopf. »Das bißchen Sekretariatsarbeit kannst du übernehmen, Termine machen, Mahnungen schreiben, Anträge für Baugenehmigungen. Wenn die Kinder in der Schule sind, hast du doch Zeit genug.«
Was für eine seltsam piepsige Fistelstimme er hatte, dachte ich, die so gar nicht zu seinem maskulinen Auftreten passen wollte. Aber er setzte sich auch piepsend durch.
Vor unserer Ehe hatte ich nicht bloß gekellnert, sondern auch in Büros gearbeitet, weder gut noch gern; immerhin war eine Schreibmaschine kein Fremdkörper für mich. Sollte ich jetzt meine karge Freizeit am Vormittag, in der ich ganz und gar fürs Malen lebte, für eine verhaßtere Tätigkeit als das Kochen aufgeben? Aber hatte ich andererseits nicht die Pflicht, meinen Mann in seinem Beruf und in seiner Eigenschaft als Familienernährer zu unterstützen? Ich sagte weder ja noch nein, Reinhard hatte mich auch gar nicht nach meiner Meinung gefragt. Meine Mitarbeit war für ihn selbstverständlich, woraus ich schloß, daß er meine künstlerischen Versuche nicht allzu ernst nahm. Ohnedies hatte ich als Frau eines Architekten mitunter stark verschmutzte Hemden und Hosen zu waschen, und das hatte ich stets als Solidaritätsbeitrag geleistet. Nun wurde ich obendrein als Sekretärin eingespannt.
Ansonsten war die erste Zeit, als wir das Büro einrichteten - es lag günstigerweise in unserer Nähe -, von einem hoffnungsvollen Pioniergeist erfüllt. Natürlich durfte Reinhards Arbeitsstätte nichts von seiner Neigung zu rustikalem Ambiente verraten, die sich für einen Architekten geradezu pervers ausnahm. Stahl, Plexiglas und Leder bestimmten die nicht originelle, eher steril-neutrale Ausstattung. In einem Anflug von Großmut wollte ich Gardinen nähen, aber Reinhard entschied sich für silbergraue Plastiklamellen. Die zukünftigen Bauherren sollten sich unbeeinflußt für ihre eigenen Vorlieben entscheiden können. Mir überließ er die Auswahl der Topfpflanzen.
Silvia hatte sich in der Zwischenzeit in ihren Reitlehrer verliebt. Nach vierzehnjähriger Ehe war das wohl normal. Ich beneidete sie um die Intensität ihrer Gefühle, ihr mädchenhaftes Erröten, das Glitzern ihrer Augen und die Spekulationen, die sie über die Gefühle des viel jüngeren Reitersmannes anstellte. Wir braven Hausfrauen hatten im Gegensatz zu unseren Männern nicht viel Gelegenheit zu einem Flirt, wenn man nicht gerade den amtlichen Gasableser oder den Schornsteinfeger ms Bett locken wollte. Silvias Mann verließ morgens das Haus, eilte in seine Firma und blieb oft bis in die Nacht fort; kein
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