Röslein rot
lebenslänglich ans Ende der Welt verbannt.
Spät am Abend brach man auf, jeweils zu zweit. Auf dem Heimweg hatte ich als einzige keinen Gefährten, mit dem ich über den Abend, das Essen und die anderen Gäste lästern konnte, und zu Hause lagen sowohl die Kinder als auch Imke längst im Bett. Manchmal fehlt mir Reinhard sogar zum Streiten.
Auch Silvia hat bislang keinen neuen Mann gefunden; kürzlich rief sie an, und wir tauschten Erfahrungen aus. Schließlich haben wir außer demselben Urgroßvater noch andere Gemeinsamkeiten: Wir leben ohne Partner, sind kürzlich umgezogen, und unsere Kinder haben den Vater als Bezugsperson verloren. Silvias Töchter favorisieren neuerdings Lederkleidung und haben sich einer dubiosen Gruppe jugendlicher Landrocker angeschlossen, mit denen sie abends auf einem Traktor in die nächste Diskothek fahren. Sie bereut im übrigen, daß sie mir ihre Hightechküche überlassen hat, um sich im neuen Domizil nach Gutsherrenart einzurichten. In der Eile war sie auch zu faul gewesen, um Keller und Dachboden zu entrümpeln; wenn ich einmal viel Zeit habe, werde ich mich daranmachen. Wer weiß, auf welche Überraschungen ich stoßen werde!
Im übrigen habe ich Silvia verziehen, denn ich mache sie nicht für das Scheitern meiner Ehe verantwortlich. Alles geriet bereits durch Reinhards Verhalten beim Besuch der liebeskranken Imke ins Bröckeln.
Mir scheint beinahe, daß Silvia Udo vermißt, auch wenn sie für ihren Witwenstatus selbst gesorgt hat. Wahrscheinlich sind Freiheit und Einsamkeit so eng aneinandergekoppelt wie ein symbiotisches Ehepaar.
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