Röslein stach - Die Arena-Thriller
Angeln quietschte. Immerhin wurde dieses Geräusch nicht vom Lärm verschluckt. Sie durchquerte den Vorgarten und drückte auf den rostigen Klingelknopf neben der schweren dunklen Holztür. Sie musste dreimal klingeln, ehe ein Schatten hinter der vergitterten Milchglasscheibe auftauchte und die Tür geöffnet wurde. Ein Junge, er war schätzungsweise zwei, drei Jahre älter als Antonia, stand vor ihr. Das hätte Katie mir auch sagen können, durchfuhr es Antonia bei seinem Anblick.
»Hi, ich bin Toni, also eigentlich Antonia… ich bin… ich sollte… Katie hat…«
Was stottere ich denn so herum?, ärgerte sich Antonia. Kann ich keinen ordentlichen Satz mehr bilden, nur weil mir ein halbwegs… nein, ein ziemlich… Quatsch!, ein wahnsinnig gut aussehender Typ die Tür aufmacht? Seine blaugrauen Augen, beschattet von langen, dichten Wimpern, musterten Antonia, als stünde sie zum Verkauf. Dann lächelte er und sagte: »Ah, das Küken ist da. Komm rein.«
Mit klopfendem Herzen hob Antonia ihre Taschen auf und stellte sie in den Flur. Die Haustür fiel dumpf ins Schloss und es war, als hätte sie eine Gruft betreten: kühl und still. Totenstill. So kam es Antonia zumindest vor, nachdem das Toben des Verkehrs draußen geblieben war. Der Flur war dunkel, sie konnte kaum etwas erkennen, außer einem riesigen, halb blinden Spiegel mit einem breiten Rahmen aus geschnitztem Holz. Es roch ein wenig muffig und abgestanden, vermutlich wurden wegen des Krachs selten die Fenster aufgemacht.
»Ich bin Robert.«
»Toni.«
Er lächelte, wobei zwei Grübchen auf seinen blassen Wangen entstanden. »’tschuldige, dass es so lang gedauert hat, ich habe gerade gepennt.« Er fuhr sich mit seinen langen Fingern durch die dunklen Locken, die ihm sogleich wieder in die Stirn fielen. Antonia blieb dabei fast das Herz stehen. »Macht doch nichts«, hauchte sie, und da ihr beim besten Willen nichts anderes einfiel, fragte sie: »Ist Katie nicht da?«
»Die kommt heute erst spät, die muss bei einer Veranstaltung Stühle schleppen und Kabel legen. Kaffee?«
»Gerne.«
Sie folgte ihm in die Küche. Die Möbel darin sahen aus, als hätte man sie vom Sperrmüll oder aus dem Sozialkaufhaus zusammengesucht. Es gab einen alten Gasherd mit eingebrannten Resten um die Kochstellen herum. Und einen Toaster! Antonia liebte Toastbrot, sie verschlang täglich eine halbe Packung davon. Ein Haufen schmutzigen Geschirrs stand neben der Spüle. Also keine Spülmaschine. Aber das war egal. Im Moment war Antonia alles egal – außer Robert. Robert war mit Abstand der attraktivste Typ, den sie seit Langem gesehen hatte – wenn man einmal von Robert Pattinson aus der Twilight -Saga absah, mit dessen Postern ihr Zimmer in Ralphs Haus zugepflastert gewesen war. Aber der war ja irgendwie nicht echt und außerdem völlig unerreichbar. Dieser Robert dagegen… Irgendwie sah er dem Film-Vampir sogar ähnlich oder bildete sie sich das nur ein? Nein, tatsächlich: diese makellose helle Haut, die dunklen Locken… Nur seine Nase war schmaler als die des Schauspielers, ebenso die Augenbrauen. Ein Bartschatten umspielte seine Wangen, was ihm etwas Verwegenes gab. Und auch noch derselbe Vorname! Irre, das alles.
Von der Küche aus konnte man durch eine Glastür in den Garten auf der Rückseite des Hauses blicken. Er schien groß zu sein und ziemlich verwildert. Hohe, viel zu dicht gewachsene Büsche umsäumten Beete voller Unkraut und eine Fläche, die vielleicht einmal ein Rasen gewesen war. In der Mitte stand ein Kirschbaum, an dem reife Früchte hingen. Blühende Strauchrosen verliehen dem Ganzen eine romantische Note. Weit hinten stand ein etwas windschiefer Schuppen, halb verdeckt von einem stattlichen Rhododendron. Ein Zaubergarten, dachte Antonia und wunderte sich, wie sie auf dieses schnulzige Wort gekommen war. Offenbar gingen die Hormone schon mit ihr durch, nach gerade mal zwei Minuten mit ihrem neuen Mitbewohner – das konnte ja noch spannend werden!
Robert schraubte einen fleckigen Espressokocher auseinander und klopfte das alte Kaffeepulver in den Mülleimer, der in einer Ecke stand und bereits überquoll. Antonia beobachtete ihn dabei. Diese kräftigen Hände mit den langen Fingern! Hat die Welt je schönere Männerhände gesehen? Sie ertappte sich bei dem Wunsch, er möge sie mit diesen Händen berühren, streicheln… Reiß dich zusammen, Toni!
Er stellte die Kanne auf die Herdplatte. Aus dem babyblauen Schrank über der Spüle, dessen
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