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Roeslein tot

Roeslein tot

Titel: Roeslein tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marketa Haist
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schweifen seine Gedanken meistens weit vom Hier und Jetzt ab, weil er sich dem Himmelreich nahe wähnt. Total verpeilt, finden die jungen Kolkwitzien, die im Rahmen der Angerverschönerung am Seitenstreifen vor der Kirche gepflanzt wurden. Zum anderen ist er ganz und gar zugunsten der Pfarrhausbewohner voreingenommen.
    Die Pfarrhausbewohner, das sind der Herr Pfarrer selbst und seine Haushälterin, die Gerti. Und der Buchenwalder zählt auch schon fast dazu.
    Also, wenn man hört, der Pfarrer hat eine Haushälterin, dann denken die meisten gleich: »Aha, der Pfarrer und die Haushälterin …« Da denken sie in diesem Fall aber ganz falsch. Die Reindlfinger glauben das nur, wir Pflanzen wissen es. Nicht etwa, weil es der Bergahorn behauptet. Der würde sowieso nichts durchsickern lassen, selbst wenn im Pfarrhaus Zustände wie in Sodom und Gomorra herrschen würden. Etwas Negatives über die Pfarrhausbewohner kommt niemals über seine Stomataränder. Aber wir haben einen Spion, der direkt an der Quelle sitzt: den Christusdorn im Schlafzimmer des Herrn Pfarrers. Der würde im Gegensatz zum Ahorn sehr zuverlässig berichten, wenn es etwas zu berichten gäbe.
    Eine besonders glühende Gläubige, die auch die Deckchen für die Seitenaltäre häkelt, hat den Christusdorn vor Jahren dem Herrn Pfarrer fürs Pfarrbüro geschenkt, weil sie fand, diese Pflanze würde alle Besucher an das Leiden Jesu erinnern und indirekt auch daran, wie sich der Herr Pfarrer für seine Gemeinde aufopfert. Dort stand er zunächst auch auf dem Schreibtisch des Pfarrers und waltete seines Amtes. Doch eines Tages ist ein verdientes Mitglied des Posaunenchors gestolpert, mit dem Arm in die Dornen gefallen und konnte wochenlang nicht spielen. Daraufhin wurde der Christusdorn ins priesterliche Schlafzimmer strafversetzt. Der kann einem wirklich leidtun. Es gibt in Reindlfing keinen Ort, wo weniger los wäre als im Schlafzimmer vom Herrn Pfarrer.

    Natürlich gibt es da auch noch den Olivenbaum, der in einem Terrakottakübel unter dem Vordach des Pfarrhauses steht. Er hat einen erstklassigen Blick durch die Glasscheiben der Eichenholztüre in die Eingangshalle und auf alles, was sich zwischen Kirche, Pfarrhaus und Anger abspielt. Manchmal ist er zwar ein bisschen dünkelhaft, von wegen »Pflanze der Bibel«, aber meistens kann man gut mit ihm auskommen. Das muss ich auch, weil er den Winter bei uns im Gewächshaus verbringt. Und von ihm erfahre ich dann immer eine Menge, solange ich noch die Herbstblätter trage.
    Eins möchte ich an dieser Stelle klarstellen: Aus dem bisher Gesagten könnte der Eindruck entstanden sein, dass Pflanzen furchtbar neugierig sind – oder gar, dass sie den Menschen regelrecht hinterherspionieren. Aber was soll man auch den ganzen Tag machen, wenn man seine Nahrung nicht jagen muss und sich von seinem Standort nicht fortbewegen kann? Die Langeweile ist unser größtes Übel. Sobald einen niemand frisst und das Wasser- und Nährstoffproblem gelöst ist, kommt auch schon das Langeweileproblem. Das muss man doch verstehen. Wir meinen es nicht böse. Vermutlich wäre es fair, überall Warnschilder mit der Aufschrift »A plant is watching you!« anzubringen, damit die Menschen besser aufpassen, was sie so anstellen. Aber die würden das sowieso nicht glauben.
    Am letzten Samstag haben wir durch den Olivenbaum von der Ankunft des Besuchers erfahren. Wie immer hat der Buchenwalder den Herrn Pfarrer herzlich umarmt. Der Olivenbaum würde das verhindern, wenn er könnte. In der Bibel steht doch ganz klar und deutlich: Körperliche Beziehungen zwischen Männern sind eine Todsünde. Die Gerti hat die Stelle schon oft zitiert. Der Herr Pfarrer ist natürlich völlig unschuldig. Alles geht von diesem Wüstling Buchenwalder aus, meint der Olivenbaum. Ich versuche erfolglos, ihm klarzumachen, dass er sich völlig unnötig aufregt, weil die Menschen einander heutzutage bei jeder Gelegenheit ohne Hintergedanken abschmatzen, egal ob Männchen oder Weibchen. Vielleicht nicht gerade in Reindlfing, aber wenn sich in der Gärtnerei Kunden aus der Stadt treffen, dann läuft das immer so ab.
    Der Buchenwalder Anton ist ein langjähriger Freund vom Herrn Pfarrer und außerdem Leiter des Stadtarchivs von Penzberg. Die beiden sind vor langer Zeit durch ihre gemeinsame Leidenschaft für historische Urkunden zusammengekommen. Der Herr Pfarrer hat schon in der Schule Schönschrift gelernt. Während der Buchenwalder seine Ausbildung zum Archivar

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