Roeslein tot
Kriminaloberkommissar, haben Sie es sich doch überlegt mit der Jacke?«
Der Wellmann wirft dem Stuhlinger einen spöttischen Blick zu. Der schüttelt den Kopf. Sein schäbiger Janker ist wohl an ihm festgewachsen. Der Wellmann selbst trägt ein nagelneues, leichtes, kurzärmliges Baumwollhemd und hat für den Sporthaus-Chef gleich die passende Kleidungsfrage parat.
»Grüß Gott, Herr Eisinger. Sagen Sie mal, ist Ihnen nicht ein bisschen warm? Langarmhemden den ganzen Sommer … Ich würde schwitzen.«
»Ach nein, in den Geschäftsräumen haben wir eine Klimaanlage. Dort ist es manchmal sogar ein bisschen zu kühl.«
»Aber hier draußen doch nicht. Da könnten Sie Ihre Ärmel ruhig mal hochkrempeln. Würden Sie uns bitte diesen Gefallen tun?«
Der Eisinger bekommt nasse Achseln. Sicher wegen der langen Ärmel. »Äh, ja … ungern …«, stammelt er.
»Haben Sie irgendwas zu verbergen?«, hakt der Wellmann nach.
Eine ganze Weile passiert gar nichts. Dann schlägt der Eisinger im Zeitlupentempo seine Ärmel um. Und noch einmal. Und noch einmal.
»Oje, das sieht ja schlimm aus«, sagt der Wellmann übertrieben mitfühlend. »Dabei sind die meisten Kratzer schon wieder verheilt. Die sind doch bestimmt gut drei Wochen alt, oder? Donnerstag, würde ich tippen …« Er sieht den Eisinger ernst an. »Könnten Sie uns bitte erklären, wo Sie sich diese üblen Verletzungen geholt haben?«
Der Eisinger sondert noch etwas mehr Körpersaft ab.
»Ich weiß natürlich, was Sie jetzt denken. Aber so war es nicht! Ich habe an dem Abend nur einen langen Spaziergang gemacht, um mich zu beruhigen. Hinten am Reindlbach bin ich sehr lange gesessen und habe nachgedacht. Ob ich meiner Frau wirklich vertrauen kann. Eine sehr berechtigte Frage, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Ich habe erst wieder angefangen, die Zeit wahrzunehmen, als es dunkel wurde. Es war mir egal. Ich blieb noch sitzen. Irgendwann stand ich auf und wollte nach Hause. Aber in der Dunkelheit bin ich vom Weg abgekommen, ausgerutscht und in irgendeinem stacheligen Gestrüpp gelandet.«
»Könnten Sie uns dieses Gestrüpp zeigen?«
»Ich fürchte nein. Ich habe fast überhaupt nichts gesehen. Nur in der Ferne, dort, wo der Bachweg endet, die Nachtbeleuchtung vom Berglmaierhof, an der ich mich orientiert habe. Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig das Vorankommen war: der Weg voller Dellen und Buckel und überall diese Dornen. Erst nachdem ich den Hof erreicht hatte, konnte ich zügig nach Hause gehen.«
Die beiden Polizisten beschließen, die Aussage vom Eisinger erst einmal so hinzunehmen. Von der Kette, die sie im Misthaufen gefunden haben, sagen sie nichts, die soll erst noch auf Fingerabdrücke untersucht werden.
»Er weiß also nicht mehr, wo er in die Brombeeren gestürzt ist«, sagt der Stuhlinger, als er den Zeugen entlassen hat. »Das ist schlecht für ihn.«
Kaum dass sich die automatische Glastüre des Sporthauses hinter dem Eisinger geschlossen hat, ergänzt der Wellmann: »… und gut für mich. Ich dachte schon, ich muss wieder in die Brombeeren. Diesmal hätte ich mir eine Machete zugelegt.«
»Dann besorgen Sie sich schon mal eine.«
»Sind Sie verrückt? Haben Sie gesehen, wie viele stachelige Büsche am Bachweg wachsen? Ich bin dort mal entlanggegangen. Das nimmt kein Ende.«
»Die Entlastung eines Unschuldigen sollte uns jede Mühe wert sein.«
» Uns? Dann besorgen Sie sich bitte auch eine Machete.«
Der Stuhlinger winkt ab. »Am besten, wir machen mal eine unverbindliche Ortsbesichtigung.«
Sie spazieren am Reindlbach entlang und unterhalten sich. Die Brombeeren und Heckenrosen saugen jedes Wort auf und schicken es weiter. Sie sind glücklich über ihre neu gewonnene Wichtigkeit, denn allzu oft wird in ihrer Nähe nicht über Tötungsdelikte debattiert. Außerdem können sie ihre hochgezüchteten Gattungsgenossinnen aus der Gärtnerei so endlich einmal in die Schranken weisen. Die sollen sich ruhig daran erinnern, dass jede Beetrose von einer Wildrose abstammt.
Der Wellmann beäugt argwöhnisch die Stacheln der Rosen und die Dornen der Brombeeren. Um von diesem Thema abzulenken, schneidet er ein anderes an.
»Wir haben also jetzt neben dem Schultes drei ›neue‹ alte Verdächtige: den Berglmaier, den Eisinger und die Gräfin Lohberg. Die beiden Herren erscheinen mir ziemlich verdächtig, aber längst nicht so verdächtig wie der Schultes. Und die Gräfin? Zwar könnte sie die Rose gestohlen haben, wozu
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